Ludwig Dringenberg
Ein gelehrter Westfale im Elsass

Zur VITA
eines frühen Humanisten und gerühmten Pädagogen im 15.Jh.

(Beiträge zur Familien- und Namensforschung Dringenberg, 2)

Rainer Dringenberg
Essen 2003


Keywords:
Dringenberg, Schlettstadt/Sélestat, Heidelberg, Humanist, Pädagoge, Lateinschule, Bibliothek, Devotio moderna

Summary:
Ludwig Dringenberg, ein deutscher Gelehrter aus Westfalen, mutmaßlich aus dem Ort Dringenberg bei Paderborn, Humanist und Pädagoge, wird nach Studien in Heidelberg im Jahre 1441 als Rektor der Lateinschule in Schlettstadt (Elsass) berufen. Er begründet den Ruhm dieser ersten und bedeutendsten Schule des oberrheinischen Humanismus (im Elsass) im Geist eines sich wandelnden Welt- und Menschenbildes und einer sich neu orientierenden Pädagogik. Mit der Lateinschule ist die international angesehene humanistische Bibliothek verbunden.

Der Artikel versucht, die wenigen Fakten zu Ludwigs Vita in den historischen Kontext des 15.Jh. zu stellen, um damit eine Vorstellung von seinem Leben zu gewinnen. Summa summarum wird man Ludwig Dringenberg heute (in Ermangelung weiterer Quellen) primär als Wegbereiter eines neuen, Reform orientierten, humanistischen Denkens und als pädagogischen Förderer namhafter Persönlichkeiten verstehen können. Sein zeitgeschichtlich frühes Wirken (zum Teil weit vor den großen Vertretern des Humanismus wie Agricola *1443, Celtis *1459, Erasmus *1466 oder Melanchthon *1497) muss gleichwohl der kulturellen Entwicklung eines ganzen Landstrichs seinen Stempel aufgesetzt haben.


Bearbeitungsvermerk (und zur Druckversion) am Ende des Beitrags.

Inhalt

1. Die frühen Jahre bis Heidelberg (von frühestens 1410 bis ca. 1430)
2. Heidelberg (die 1430er Jahre)
3. Schlettstadt (von 1441 bis 1477)
4. Anmerkungen
5. Literatur und Internetfundstellen


1. Die frühen Jahre bis Heidelberg (von frühestens 1410 bis ca. 1430)
Burg Dringenberg bei Paderborn


[vgl. hierzu unsere Anmerkungen zum Thema "Adel"]
Die Geschichte des Ludwig Dringenberg beginnt gleichsam unvermeidlich in dem Ort Dringenberg in Westfalen. Obwohl bislang kein wirklich eindgültiger Beleg für diese Annahme zu existieren scheint, wird sie in der einschlägigen Literatur als Ausgangspunkt für die Lebensgeschichte Ludwigs behandelt (dazu unten mehr). Und der Ort selbst ehrt seinen mutmaßlich berühmtesten Sohn heute mit einem Straßennamen: „Ludwig von Dringenberg“.

Dringenberg, heute Stadtteil von Bad Driburg im Osten Westfalens, war aus dem nahen Kirchdorf Dringen (Namen gebendes Dorf der Freigrafschaft Dringen) entstanden, auf den Berg verlegt – in den Schutz einer neu errichteten Burg, und bekam 1323 das Stadtrecht verliehen. Erst nach Ludwigs Zeit blühte die Stadt auf und war – neben Paderborn selbst – zeitweilig mit zentralörtlichen Funktionen des Bistums betraut. (mehr) (1) Die Burg selbst (Bild s.o.) enthält noch älteste Teile aus der Zeit Ludwigs, wenn auch das Gesamtbild der heutigen Anlage auf das 16. (und frühe 18.) Jh. zurück geht.

Paderborn, heute eine mittlere Groß- und Universitätsstadt im Regierungsbezirk Detmold (Nordrhein-Westfalen) gehörte ursprünglich zur Kirchenprovinz Mainz. Bedeutsam schon im 8. Jh., diente dieser frühe Siedlungspunkt am Rande der westfälischen Tieflandsbucht (zum Eggegebirge) Karl dem Großen als Kaiserpfalz. 777 hielt Karl an dieser Stelle einen Reichstag ab, 799 traf Papst Leo III. den Frankenkönig hier – auf sächsischem Boden! –, um von ihm Unterstützung für Rom zu erbitten (und bald ward Karl zum Kaiser gekrönt). Neun Jahre später, 806, wurde Paderborn Bischofssitz, 1217 Fürstbistum. In dem folgenden Jahrhundert hatten es die Reichsfürsten nicht leicht. Einerseits mussten sie sich mit dem Selbstbewusstsein der aufstrebenden Stadt auseinander setzen, andererseits drohte von außen die Expansion der Kölner Erzbischöfe, die ihren Machtbereich als Herzöge von Westfalen bis zur Weser ausdehnten. Dieser Gefahr ist es mit zu verdanken, dass man freigrafschaftliche Dörfer auf einer nahen Anhöhe im Schutz der neu errichteten Burg unter dem Namen Dringenberg konzentrierte. Das geschah, einschließlich der eigentumsrechtlichen Vorgeschichte, ab 1316. (mehr)

(Über die Diözese Paderborn gibt es auch einen englischen Beitrag.)

Die Namensnennung auf dem Dringenberg Straßenschild (von Dringenberg) verrät kein Adelsprädikat. Es handelt sich vielmehr offensichtlich um eine Herkunftsbezeichnung, wie sie im Mittelalter durchaus üblich war. Ludwig selbst dürfte von seinen Zeitgenossen schlicht bei seinem (Vor-)Namen gerufen worden sein.


Exkurs

Familiennamen sind in Deutschland bis zum 12.Jh. nicht üblich und vor den großen Entwicklungen des Hoch- und Spätmittelalters kaum erforderlich. Ursprünglich genügte es im germanischen und altdeutschen Kulturkreis, einer Person einen Namen zu geben, der – aus zwei Wörtern komponiert – bestimmte Vorlieben zum Ausdruck brachte, Vorlieben etwa zu charakterlichen Merkmalen (Ehre), zu Tieren (Wolf) oder zu Waffen (Gerlinde). Da der Bewegungsradius der Menschen im Mittelalter in der Regel überschaubar bleibt, sind sie mit solchen Namen im allgemeinen hinreichend identifizierbar. Aber die Bevölkerungszunahme nach der ersten Jahrtausendwende, die Herausbildung von Dörfern (anstelle früherer Streusiedlungsformen) sowie die Stadtgründungen, verstärkt ab dem 13.Jh., lassen den Bedarf an Unterscheidungsmerkmalen wachsen. Deutschland hat nach Schätzungen (Ploetz 33: 408) um das Jahr 1000 etwa 4 Mio. Einwohner, bis etwa 1340 werden es um die 11,5 Mio. geworden sein. (2)

Es bildet sich eine soziale Schichtung heraus (Stände), territoriale Entwicklungen verlangen nach Festigung und Verwaltung (Adel, Lehnswesen, Beamte). Der Aufschwung der Städte, ihre Rechtsstellung und ihr wachsendes Selbstbewusstsein im Zuge wirtschaftlichen Wachstums (Stadtmauern, Städtebünde) schaffen neue Tatsachen, die in vielerlei Hinsicht mit der Ordnung des 1. Jahrtausends nicht mehr zu bewältigen sind. Der soziale Wandel dieser Zeit macht eine bessere Identifizierung der Menschen erforderlich, dient aber auch der gesellschaftlichen Distinktion. Mit dieser Entwicklung einher geht eine Reduktion der Namensvielfalt durch Konzentration auf besonders beliebte Namen. Damit reduziert sich der bisherige (alleinige) Name zum Vornamen, der einer Ergänzung bedarf. Das dient zunächst – mit der Vorsilbe „von“ und einer Ortsbezeichnung – dem Adel. Auch im gemeinen Volk, zunächst besonders unter Bauern, entsteht schließlich ein Familienname – einerseits durch den Beruf des Mannes (Frau und Kinder werden ihm sprachlich in unterschiedlicher Weise zugeordnet) und andererseits über Merkmale seiner lokalen Zugehörigkeit oder Herkunft (sei es die Stadt oder die Umgebung – wie der „Bach“, an dem einer lebt). (3)

„Ludwig von Dringenberg“ ist dann einfach: Ludwig aus Dringenberg. – Soweit die spärlich vorhandene Literatur zur Frage der Herkunft Stellung nimmt, ist man sich darin einig, dass Ludwig aus der Diözese Paderborn stammt. (4) Dann mag es in der Tat nahe liegen, die Herkunft des Familiennamens auch dem gleichnamigen Ort zuzuschreiben.

Ludwigs exaktes Geburtsdatum ist nicht belegt. Womöglich ist die erste schriftliche Quelle zu seiner Existenz überhaupt 1430 in den Matrikeln der Universität Heidelberg zu finden: „Ludwig von Dringenberg, Kleriker der Diözese Paderborn“. (5) Diesen Eintrag könnte man sich fünfzehn bis zwanzig Jahre nach Ludwigs Geburt vorstellen (mehr dazu unten im 2. Abschnitt), welche an unterschiedlichen Stellen auf ca. 1410 bis 1415 datiert wird. Letztere Schätzung vertritt Pöppel (6).

Wiederum nicht unumstritten, aber nachhaltig vertreten, stellt sich die Phase seines Lebens vor der Aufnahme seiner akademischen Studien in Heidelberg dar. Demnach erfuhr Ludwig eine – offenkundig wirksame – geistige und pädagogische Beeinflussung durch die „Brüder des gemeinsamen Lebens“ von Deventer (nordöstlich von Arnhem bzw. Apeldoorn in den Niederlanden).

Bei den Fratres handelte sich um eine Laienbruderschaft, die in einer aus den Fugen geratenen Zeit zur Mäßigung anhielt und um einen geistig-spirituellen Weg in praktischer Nachfolge Christi bemüht war. Meditation, Buße, Umkehr und Kontemplation zielten letztlich auf eine „innerliche" Reform der gesamten Kirche und des Klerus. Solche Tendenzen stellten die Feindschaft einflussreicher Kleriker sicher, die – verweltlicht und um Machterhalt bemüht – den verschiedenen „reformatorischen“ Bestrebungen der Zeit energisch begegneten.

Meister Geert Groote (auch Gerhard Grote, Gerhardus Magnus, 1340 - 1384), in Deventer geboren, gilt als Vater dieser Bewegung. Mit der „Devotio Moderna“ (neue Frömmigkeit) wird eine mystische Reformbewegung des 14. Jahrhunderts beschrieben, die als Alternative zur so genannten Kirchenfrömmigkeit ins Leben gerufen wurde. Sie berief sich in erster Linie auf die so genannte deutsche Mystik und wurde quasi ihr niederrheinisches Pendant. Persönliche Religiosität ("Frömmigkeit") und die innere Nachfolge des spirituellen und alltäglichen Beispiels Jesu Christi kennzeichneten diese Bewegung. (7; mehr dazu weiter unten mit Th.v.Kempen) Um 1380 gegründet, bot diese Schule manchen namhaften Denkern des Humanismus eine neue geistige Heimat. Erasmus von Rotterdam etwa soll 100 Jahre später hier in Deventer fünf Jahre seiner schulischen Unterweisung genossen haben. Wir befinden uns also gedanklich in der historische Epoche des Humanismus und der Renaissance, es ist auch der Vorabend der Reformation.







Melanchthon

Exkurs

Humanismus und Renaissance sind begrifflich nur schwer auseinander zu halten. Vielfach werden die Termini analog verwandt. Gemeinhin denken wir (heute) bei dem einen mehr an die wissenschaftliche Bewegung des 14.-16.Jh., bei dem anderen an die Kunst. Beides aber verweist auf die Wiederentdeckung der Antike, eine Umbruchphase, die sich aus mancher Enge mittelalterlichen Denkens befreit und an neuen Weltbildern (Mensch und Natur) arbeitet. Während diese Bewegung im kulturell und wirtschaftlich höher entwickelten Süden (Italien) schon früher begann und mit den heidnischen, griechisch-römischen Vorbildern der Antike durchaus auch einen weltlichen Geist frei setzt, kann man in den humanistischen Strömungen des Nordens (Flandern) im 15./16. Jh. eine deutlichere sittliche Verankerung ausmachen. Neben dem Interesse am Intellekt verfolgt der christliche Humanismus den „ganzen Menschen“, auch die religiöse Bildung, um es vereinfacht auszudrücken. (8) Mit der Rückbesinnung auf die Literatur der Antike verbindet sich auch die Chance, im Bruch mit der Scholastik des Mittelalters weniger der Form (Grammatik) als dem Inhalt seine Aufmerksamkeit zu schenken. Ein für die Pädagogik der Zeit folgenreicher Sinneswandel (mehr dazu im Abschnitt Schlettstadt).

Melanchthon (1497-1560)


Die politische Situation des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation wies seit dem 15.Jh. deutliche Verfallserscheinungen auf. Schon Ende des 14.Jh. setzten im Inneren etwa mit der Kirchenspaltung (das Große Schisma seit 1378) nachhaltige Probleme der deutschen Politik ein. Von außen her stellten die Türken ab 1471 eine wachsende Gefahr dar; weiter östlich und südlich hatten sie schon lange zuvor ihren Einfluss ausgedehnt. Die Konzile von Konstanz (1414-1418) und Basel (1431-1449) signalisierten nur zeitweilig Lösungen und führten schließlich zu neuem Zerwürfnis. Herrscher im Reich war zu Ludwigs Zeit Sigismund von Luxemburg, 1410 König, 1433 Kaiser. Es brauchte Jahre, bis er sein hohes Amt gegen alle Widerstände auch faktisch antreten konnte. Ihm folgten als Könige die Habsburger mit Albrecht II. (1438) und Friedrich III. (1440, als Kaiser 1452). Vom kleinen Fürstbistum selbst, das Ludwig schon in jungen Jahren verließ, scheint man in dieser Zeit nicht allzu Bedeutsames vermelden zu müssen (vgl. aber den Hinweis am Ende des 2. Abschnitts).

Dass Ludwig tatsächlich die so bedeutsame Mutterschule der Bruderschaft in Deventer besucht hat, ist keineswegs belegt. Dass sein späteres Wirken in Schlettstadt im Geist eben solchen Denkens gestanden hat, scheint hingegen unbestritten zu sein. So verwundert es nicht, dass selbst Skeptiker, die infolge gewisser Ungereimtheiten in den kargen Quellen zu Ludwigs Vita dessen Zugehörigkeit zur Bruderschaft in Deventer selbst (oder gar gänzlich) in Frage stellen, einer geistigen Nähe und Beeinflussung durch die Deventer-Schule jedenfalls zustimmen. So wird auch darauf verwiesen, dass die weit verbreitete Bruderschaft nicht nur ein Haus im Elsass förderte (Truttenhausen), sondern sogar direkt in Ludwigs Heimat, in Böddeken (südlich von Paderborn bei Büren-Wewelsburg) bis zum frühen 15.Jh. ein Kloster existierte, das hierzu in Verbindung stand. (9) Sollte Ludwig hierüber mit den Fratres in Kontakt gekommen sein? Bekannt war die Bruderschaft jedenfalls dafür, dass sie sich sehr um die Jugenderziehung am Niederrhein und in Norddeutschland kümmerte.

Paul Adam (10) geht ebenfalls davon aus, dass Ludwig nicht im Mutterhaus in Deventer selbst, sondern vielmehr in Zwolle geistige Unterweisung erfuhr. Dies stützt sich auf Ausführungen des lutherischen Theologen und Historikers Hermann Hamelmann im 16.Jh., wonach Thomas a Kempis Ludwigs Lehrer gewesen sein soll. (11)

Es muss nicht verwundern, wenn Ludwig den gewiss beschwerlichen Weg vom Paderborner Land an den Niederrhein antrat. Die – vergleichsweise zahlreichen – Klosterschulen des Mittelalters bildeten die zentralen Stätten der Bildung und Kultur, vor allem der Schrift, und „Schulbildung“ im Mittelalter war im Kern geistliche Bildung. Man musste sich ohnehin auf den Weg machen, wenn man (vgl.u.) seiner Kindheit entwachsen mit sieben Jahren dem vollen Ernst des Lebens ausgesetzt wurde. „Knaben“, die in den Genuss solcher Bildung kamen, wurden von ihren Eltern als „Oblaten“ in die Obhut des Klosters gegeben, um dort im Geiste der Ordensregel (ohne Vollmitglied werden zu müssen) einige Jahre zu verbringen.

Der Schulmeister (Albrecht Dürer, Holzschnitt)

Hinsichtlich der Wanderschaft des Ludwig aus Dringenberg sind wir auf Spekulationen angewiesen. Für den beträchtlichen Weg von Paderborn nach Westen standen selbst im Mittelalter prinzipiell schon unterschiedliche Routen zur Verfügung, je nach Zweck der Reise und materieller Voraussetzung. Da Ludwig in Heidelberg als pauper (arm) eingetragen wird (vgl.u. zur Immatrikulation in Heidelberg), ist zunächst einmal jede aufwändigere Reiseform nicht sehr wahrscheinlich: So ist kaum an eine Begleitperson für ihn auf dem Weg nach Zwolle zu denken. Man kann sich also vorstellen, dass Ludwig am Anfang seiner Reise mit Segen und vielen guten Wünschen ausgestattet, vielleicht auch mit einer Art Ausweis über seine ordnungsgemäße Entlassung aus der Heimat, allein loszog, jedenfalls nur mit bescheidenen Mitteln versehen. Aufgrund seiner klerikalen Herkunft (vgl. Immatrikulation) bieten sich klösterliche Wege an, deren Etappen Übernachtung und Speisen sicher stellen mochten. Nicht auszuschließen ist auch eine Vermittlung (Beziehung) der Art, dass man ihn in Obhut von Handelsleuten geben konnte, die den einen oder anderen ausgewiesenen Weg jener Zeit im rechten Moment zu ziehen hatten.

Jedenfalls verlief eine mögliche Route – sobald die Überquerung der Senne bei Paderborn geleistet war – über einen Weg mit ältester Tradition, über den Hellweg: Militärweg schon der Römer, Handelsweg (nicht erst) der Hanse und Pilgerweg, führte die Strecke bis zum Rhein nach Duisburg (die alte Ost-West-Verbindung führt dann weiter nach Südwest). Vom Rhein an – sollte Ludwig diesen Weg eingeschlagen haben – standen Rheinuferwege bis nach Wesel zur Verfügung, und von dort verlief eine bewährte Verbindung in Richtung Zutphen und Deventer. Vielleicht einfacher und direkter war es für Ludwig, sich östlich der Senne zu halten und über Rheda, Warendorf nach Münster zu reisen. Es gab zwischen Westfalen und den Ijsselstädten enge Beziehungen (vor allem zu den berühmten Jahrmärkten nach Deventer), demgemäß führte von Münster eine direkte Verbindung via Coesfeld nach Deventer (oder Zutphen) und weiter nach Zwolle oder Kampen. (12)

Ein zweiter Gedanke erleichtert die Vorstellung, dass Ludwig die Mühen seiner Bildungsreisen (die später noch viel weiter den Rhein aufwärts führen sollten) wie viele andere schon vor ihm angetreten haben mag: Seit dem 12.Jh. waren die oft ohne festes Ziel wandernden Scholaren unterwegs in Deutschland, heute würden wir sagen: im zarten Alter. Doch was sich da an buntem und häufig sehr jungem Menschengemisch schon mit Barbarossa (Mitte des 12.Jh.) auf entferntesten Wegen über die Alpen hinweg nach Italien bewegte, galt im Mittelalter als erwachsen (dazu unten mehr: vgl. auch die spätere Anm. 18). Was schließlich die Scholaren unter den – im Übrigen als „unehrlich“ geltenden (außerhalb der Stände stehenden) – „fahrenden Völkern“ anbelangt, so stellte der „Fernreisende“ durchaus einen Normalfall des Bildung suchenden jungen Mannes dar.

[Ein gesonderter Artikel behandelt die spätmittelalterliche Reformbewegung der Devotio moderna.]


Thomas von Kempen Zwolle
Wer war nun der namhafte Lehrer des Ludwigs aus Dringenberg? Thomas Hemerken von Kempen (Thomas a Kempis) wurde um 1380 geboren, besuchte bis 1391 oder 1392 die Lateinschule in Kempen (jetzt Kreis Viersen) und ging anschließend nach Deventer, um dort in der Stadtschule als Schüler von Johannes Boom zu studieren. Spätestens 1398 nahm er Kontakt zu den "Brüdern vom Gemeinsamen Leben" auf, bei denen er in einem ihrer Häuser von 1398 bis 1399 lebte. Anschließend ging er nach Zwolle und trat in das neu eingeweihte Chorherrenkloster "St. Agnes" ("Agnetenberg") der Augustiner ein. Der Prior dieses Klosters war Thomas’ Bruder Johannes (ca. 1365-1432). Er verblieb fast 70 Jahre lang im Agnes-Kloster. (13) Wenn denn also Hamelmanns Bericht zutrifft, wonach Thomas von Kempen Ludwigs Lehrer gewesen sein soll, muss sich dies in Zwolle abgespielt haben. (14)
Das Bild eines unbekannten Meisters aus dem 17.Jh. zeigt Thomas vor dem Nemelerberg (später Agnietenberg).

Zwolle ist eine kleine Großstadt (ca. 100.000 Einw.) in den Niederlanden, ehemalige Hansestadt, Zentrum der Provinz Overijssel, und liegt an einer gedachten Linie von Osnabrück nach Amsterdam, unweit vom Ijsselmeer. Dort ist heute an der Stelle des ehemaligen „Agnietenbergklosters“ ein großer Friedhof angelegt („Bergklooster“), und eine Gedenktafel gibt Auskunft zum vormaligen Kloster und zur Bruderschaft mit ihrem berühmten Vertreter Thomas a Kempis (van Kempen). Weiterhin befindet sich hier ein Denkmal zu Thomas' Ehren. (15) (mehr)




2. Heidelberg (die 1430er Jahre)

Ludwigs Studienjahre spielten sich zweifellos an der Universität Heidelberg ab, wovon die unten angeführten Belege zeugen. Heidelberg konnte zum damaligen Zeitpunkt gerade einmal auf eine vierzigjährige Geschichte als Universitätsstadt zurückblicken. 1386 gegründet, dritte deutsche Universität (nach Prag und Wien 16), befand sie sich im 15.Jh. in der Aufbauphase.
Universität Heidelberg Zepter der Artistenfakultaet In den frühen Jahren hatten 12 Magister der Artistenfakultät noch in Provisorien vor der Stadt gelehrt, um die Jahrhundertwende profitierte man von der Vertreibung der Juden und arbeitete im vormaligen Getto neben der Heilig-Geist-Kirche. (17) Erst nach und nach entstand durch Zukauf und Umbau mehr Raum für die herein drängenden Scholaren, denn die Artistenfakultät nahm in Heidelberg Anfang des 15.Jh. zahlenmäßig rasch zu.

Um nur ein grobes Bild von den Größenordnungen des noch jungen Universitätsbetriebs in Deutschland zu gewinnen: Man schätzt für die Zeit um 1450 2.000 deutsche Studenten insgesamt, zum Ende des Jahrhunderts etwa 4.000 – und je Universität vielleicht 300 - 400 Scholaren. In der Stadt Heidelberg, deren Universität infolge ihrer Lage zunächst nicht sehr begehrt war, stehen einer solchen geschätzten Durchschnittszahl im Jahr 1439 nur etwa 3.800 Einwohner gegenüber: eine Kleinstadt also mit erheblichem Zulauf an Fremden (sei diese Größenordnung nun inklusive anderer Universitätsangehörigen gerechnet oder ohne). (18)

Das historische Zepter (15.Jh.) der Artistenfakultät Heidelberg wird im Internet ausführlich erläutert.

Doch ehe wir uns weiteren bekannten Fakten zuwenden und sie zu verstehen suchen, scheint es angebracht zu sein, sich den Studienbeginn und das Studium eines Scholaren im 15.Jh. vorzustellen, da die Realitäten des Studierens heute davon in vielerlei Hinsicht abweichen. Immerhin mag Ludwigs Alter zu Beginn seines Studiums bei nur 15 oder 16 Jahren gelegen haben.

Im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit ging man schon sehr früh zur Hochschule. Melanchthon etwa, der mit zwölf Jahren zum Studium zugelassen wurde, gilt zwar – neben anderen berühmten Beispielen – als Ausnahme, doch ein Alter von 15 oder 16 Jahren liegt durchaus im statistischen Mittel der jungen Menschen, die an die Hochschule kamen. (19) Daneben jedoch war es von Anbeginn üblich, dass auch ältere Männer, die längst in Amt und Würden standen, an der Universität neben den Jungen studierten. (20)

Der frühe Studienbeginn ist damit zu erklären, dass die ersten Studienjahre im Grunde (erst) das vermittelten, was wir heute die höhere Allgemeinbildung nennen würden, also Funktionen der gegenwärtigen Sekundarstufen übernahmen. Überhaupt muss man sich von der Vorstellung lösen, dass es im Mittelalter so etwas wie „Kindheit und Jugend“ gab. Etwa ab sieben Jahren galt der Mensch als erwachsen, denn es hieß, dass er fortan zwischen Gut und Böse unterscheiden könne. Die allgemeine Schulpflicht gab es nicht. Man arbeitete, und wenn man Glück hatte, wurde einem eine gewisse Erziehung durch Einzelpersonen oder in Klosterschulen zuteil. Letztere aber kannten im Zweifel keine Schutzzone des Heranwachsenden, wie sie ihm unter moderner Pädagogik zuerkannt wird. Was als Wissen der Zeit galt, wurde förmlich eingetrichtert, einschließlich der damals üblichen lateinischen Sprache.

Die Universität bestand aus vier Fakultäten, genauer gesagt aus der Artistenfakultät für die Anfänger und den drei höheren Fakultäten Theologie, Jurisprudenz und Medizin. Erst nach Absolvierung der sieben „artes liberales“, die sich als „Grundstudium“ verstanden, konnte man in die höheren Fakultäten einziehen. Die „artistische“ (oder philosophische) Fakultät bestand zunächst aus dem Trivium: Grammatik (Latein), Dialektik (Logik) und Rhetorik (einschließlich der bedeutsamen Kunst des Schreibens) und schloss mit dem Baccalaureat ab, einer Zwischenprüfung. Dem folgte das Quadrivium: Arithmetik, Geometrie, Astrologie-Astronomie und Musik (Theorie). Dessen erfolgreicher Abschluss führte zum Grad des Magister. Man sieht also, dass im 15.Jh. die artes liberales im Grunde den Stoff der späteren philosophischen und naturwissenschaftlichen Universitätsfächer vermittelten. Im Regelfall verließ der Scholar die Hochschule mit dem Magistertitel.

Die Studiendauer schwankte auch damals bzw. unterschied sich von Hochschule zu Hochschule. Aber die „mehrjährige“ Studienzeit (man liest von durchschnittlich drei Jahren) bis zum Baccalaureus mochte durchaus in zwei Jahren geschafft sein, und die gleichfalls „mehrjährige“ Studienzeit bis zum Magister war auch in zwei Jahren abzuleisten. Die höheren wissenschaftlichen Weihen in den drei anderen Fakultäten erforderten hingegen ein abgestuftes mehrjähriges Studium, das vor allem die Theologen lange an die Universität band. (21)

Die exakte Studiendauer Ludwigs ist nicht abschließend geklärt – und noch weniger seine gesamte Verweildauer an der Universität Heidelberg. Die bekannten, vor allem französischen Quellen gehen von folgenden Eckdaten aus: Zunächst einmal steht fest, dass Ludwig sich 1430 einschrieb (vgl. nachfolgende Abbildungen und dazu Anm. 22). Adam (1962 bzw. 1995:13) schreibt in seiner früheren Arbeit vom „Magister“ im Jahre 1432, später jedoch (1977:12) – mit genaueren Daten – vom baccalaureus artium am 12. Juli 1432 (22) und vom magister artium am 8. April 1434 (mehr hierzu auf der folgenden Seite). In jedem Fall also hat Ludwig demnach seine Studien an der Artistenfakultät ordnungsgemäß mit dem Magister abgeschlossen.


Ludowicus Dringhenberg (2) cler. Baterbornensis dioc. – p.

« Ludwig Dringenberg (2) Kleriker der Diözese Paderborn (clericus Baterbornensis diocesis) – pauper »

Matrikel aus dem Jahre 1430 (s. Anm. 22) (23)

Die Führung der Matrikel oblag dem Rektor. Vom ersten Rektor (Marsilius von Inghen) vierzig Jahre zuvor eingeführt, gehörten dazu Name und Vorname, Geburts- oder Wohnort mit Angabe der Diözese (des Heimatortes) sowie ein Vermerk zur entrichteten Immatrikulationsgebühr bzw. der Hinweis, dass diese erlassen wurde. Letzteres geschah mit dem Kürzel p. oder paup. für pauper (arm). Im Mittelalter galt der Umstand, dass man nur über unzureichende Mittel verfügte, nicht als Studienhindernis, sondern eher als Normalfall. Die Entscheidung oblag ebenfalls dem Rektor, bei der Intitulation (erst später sagte man: Immatrikulation) und Vereidigung – üblicherweise von ihm persönlich besorgt – von Zahlung der Gebühr abzusehen. Er hielt das entsprechend fest mit „dt.“ („dedit“) oder „non [bzw. nihil] dedit“ (p.); mit dieser Einstufung konnte man auch zu Freistellen in den Internaten kommen. Ludwig jedenfalls wurde als „arm“ eingetragen. (24)



(2) «de Tringenburg». b. art. 12/7 1432.
So lautet die Fußnote (2) zu o.g. Eintrag – offenbar mit Hinweis auf die Herkunft Ludwigs (de Tringenburg)sowie auf Art und Datum des ersten Examens (b.art. – baccalarius artium); vollständig: admissus est ad - adipiscendum [Erlangung, d.Verf.] - gradum baccalariatus in artibus. Das bedeutet, dass Ludwig an diesem Tage, nachdem er die Prüfung bestanden hat, zur Erlangung des Baccalaureats zugelassen ist. (Matrikel [Toepke]:XI; siehe im Übrigen Anm. 22)

Hinsichtlich eines Beleges über die Erlangung der Magisterwürde besteht aus Sicht des Verf. nicht die letzte Klarheit. Adam nennt in den o.g. Texten seine Quelle nicht, wonach er den 8. April 1434 annimmt. Die Matrikel selbst sind nachweislich unvollständig, auch wenn sie physisch komplett vorhanden sind. Das bekannte Problem beginnt bereits mit den normalerweise zweimal im Jahr (!) wechselnden Dekanen, die in ihrer Dokumentation der Prüfungen die gebotene Sorgfalt nicht immer walten lassen. Teils wurden aber auch die Originalhandschriften – da schwer lesbar – nur flüchtig übertragen, so dass man etwa die Namen nicht in gleicher Schreibweise transkribiert findet. Auf diesem Hintergrund kann man mutmaßen, dass die folgende Eintragung im Album magistrorum artium (p. 380-382: 1431-1434; vgl. Anm. 22) die Magisterprüfung des Ludwig Dringenberg meint. Hier wird in der Liste des Jahres 1434 auf Platz 14 (von 18) dem Dekanat des Conrad de Dransfelt zugeordnet unter dem 8. April ausgewiesen:


Im Übrigen ist mit dem Immatrikulationsdatum noch keineswegs geklärt, dass Ludwig tatsächlich auch erst zu diesem Zeitpunkt nach Heidelberg kam. Es war durchaus verbreitet (Matrikel:IX), dass man schon – zum Teil längere Zeit – an der Universität war, ohne sich einzuschreiben; manche verzichteten ganz darauf. Was auf der anderen Seite die Beendigung der universitären Vita anbelangt, so ist eine weitere Besonderheit der damaligen Zeit als durchaus üblich bekannt: Mit der erlangten Würde des Magister war häufig die Pflicht verbunden, für weitere zwei Jahre als Lehrender an der Universität zu verweilen. Schon vor dem abschließenden Examen übten sich die Scholaren im Dozieren: Das System der universitas magistrorum et scholarium beinhaltete die selbstverständliche Praxis, dass mit zunehmender Verweildauer in der Fakultät die Rollen des Lernenden und des Lehrenden im Wechsel wahrgenommen wurden. Man unterrichtete die Neulinge, während man selbst noch lernte, und schrittweise musste der Scholar sich von bloßem Lernen zum Lehren weiterentwickeln, was nach dem Baccalaureat zur Pflicht wurde. (25)

So könnte man die bis heute offenbar im Dunkeln liegenden fast sieben Jahre der Vita Ludwig Dringenbergs zwischen dem Magisterexamen in 1434 und dem Amtsantritt in Schlettstadt 1441 für die ersten zwei Jahre vielleicht noch mit einer plausiblen Vermutung verkürzen. Doch als rein spekulativ müssen gegenwärtig alle Annahmen zu den verbleibenden fünf Jahren angesehen werden: Arbeitete er als Hauslehrer? (In Heidelberg?) Oder als „famulus“ eines Professors? Wurde er bald darauf zum Priester ordiniert (wie Adam 1977:12 mutmaßt)? Belege dafür sind uns nicht bekannt. (26)

Auch eine vorübergehende Rückkehr in seine Heimat, was für die Scholaren Deutschlands nach ihrer Bildungsreise ohnehin nicht üblich schien, ist offenbar mit keinem Anhaltspunkt zu stützen. Betrachtet man die politisch instabile Lage Paderborns zu dieser Zeit, so lag schon allein darin keine Attraktion für Ludwigs Rückkehr. Immerfort wurde das Hochstift Paderborn vom Kölner Erzbischof (zu dieser Zeit Theoderich) bedrängt, verwickelte sich in Fehden, machte Schulden und musste wiederholt Städte und Burgen verpfänden. So auch Dringenberg, wo Theoderich (als Vormund des rechtmäßigen Besitzers) just im Jahre 1434 längere Zeit auf der Burg weilte und in der Folge der Region arg zusetzte. (27) 1434: das war Ludwigs Magisterjahr.



Schlettstadt Elsass

Sélestat – Interesse an einem Besuch im Elsass?


3. Schlettstadt (von 1441 bis 1477)

In den studentischen Wohngemeinschaften und erst recht im Studium selbst nahm das Lateinische allerhöchsten Rang ein. Die Scholaren waren angehalten, auch untereinander Latein zu sprechen. Ludwig Dringenberg war folgerichtig Ludovicus (aus oder von Dringenberg). Nach dem Examen hieß er Magister Ludovicus Dringenberg, wie aus seinem Exlibris zu ersehen ist:

Wenn man sich den „privaten Menschen“ Ludwig aus Dringenberg vorzustellen sucht – was vielleicht eine ungeeignete Frage für die damalige Zeit ist –, so bleibt man weitgehend auf allgemeine Feststellungen zum Bild eines gelehrten Mannes des 15.Jh. angewiesen. Im frühen Humanismus sind jene Zeiten noch nicht lange (oder gänzlich) vorüber, da es einen Gelehrten nur in der Gestalt eines Mönches, eines Geistlichen gab. Erst die Institution der Universität beförderte – damals also erst seit wenigen Jahrzehnten in Deutschland – die Emanzipation der Wissenschaft (von der Bevormundung durch die römische Kirche). Paris vor allem (Universitätsgründung vor 1200) spielte dabei eine nicht unbedeutende Rolle. (28)

Gleichwohl lebten die meisten Hochschullehrer im Zölibat (29) und empfingen zumindest die niederen Weihen der Kirche, schon um die materiellen Wohltaten des vielleicht bedeutendsten Förderers der Hochschule nicht in Frage zu stellen. Man war ja noch kein wohl bestallter Staatsbeamter wie heute. Anders als manche Mediziner und Juristen, die auch mit Weib und Kind an die Alma Mater zogen, waren Theologen unbeweibt (was nicht bedeuten muss, dass sie keusch gelebt hätten), und auch unter den Artistenlehrern gab es zunächst wenige Verheiratete. Das Gros des Kollegiums lebte in Wohngemeinschaften (Kollegien), die in den frühen Zeiten der Universität im allgemeinen klösterlichen Zuschnitt aufwiesen. Für die Bursen (studentische Wohngemeinschaften), in deren Enge der Studiosus häufig förmlich eingepfercht und zudem mit strengsten Regularien belegt war, kann man das analog sehen. Mit anderen Worten: Auch Ludovicus mag zeitweise mit einem Weib gesegnet gewesen sein, aber eine eheliche Bindung gilt wohl nicht als wahrscheinlich, zumal aus späteren Jahren nichts überliefert ist, was hierauf schließen ließe.

Wie so oft im Leben, spielte auch für die weitere Vita des Ludovicus der Zufall die vielleicht entscheidende Rolle: Mancher junge Mann aus dem Elsass studierte zur fraglichen Zeit in Heidelberg, darunter auch Söhne angesehener Bürger aus Schlettstadt. So wird insbesondere Conrad Hammer genannt, dessen Vater im Stadtrat saß, und Jean Fabri. (30) Beide sind in den Matrikeln der Universität unter dem 23. Juni 1431 eingetragen. (31) Auch Fabri erwarb die Würde des magister artium, offenkundig etwas später als Ludwig, denn er nannte diesen „seinen verehrten Meister“ (Adam a.a.O.:78). Man freundete sich jedenfalls an.

Schlettstadt (heute Sélestat) liegt von Heidelberg aus etwa 140 km den Rhein aufwärts im Elsass (l’Alsace), 40 km südlich von Straßburg (Strasbourg), noch in den Niederungen des Flusses, aber schon am Fuße der Vogesen. Die bekannte mächtige Ruine Haut-Kœnigsbourg thront unweit über der Stadt. Schlettstadt war ursprünglich eine deutsche Königspfalz, wurde 1292 Reichsstadt, gehörte 1354-1648 zur elsässischen Dekapolis und wurde 1676 (erstmalig) französisch. (32) – Das Münster Saint-Georges (13.-15.Jh.) ist gewissermaßen Ausgangspunkt und Ziel des Bildungsgeschehens, das Ludovicus nach Schlettstadt führt. Ende des 14.Jh. war hier eine Lateinschule errichtet worden: am Grünen Markt vor der Kirche Sainte-Foy (Sankt Fides Kirche, aus dem 11./12.Jh.), die durch ihren reichen Bauschmuck am Hauptportal auffällt. Die Lateinschule erfreute sich steigender Nachfrage, so dass bald ein Neubau fällig wurde: im Schatten von Sankt Georg, nahe dem westlichen Querschiff.

Ende des 14. Jh. gab es schon in mehreren Reichsstädten des Elsass Lateinschulen. Über sie ist – insbesondere gilt das für Schlettstadt – aus den ersten fünfzig Jahren ihres Bestehens offenbar nur wenig überliefert. Ihr Unterricht stand noch gänzlich in der Tradition des scholastischen Denkens. Damit wird (wenn man von den französischen Quellen ausgeht) namentlich auf die Spätscholastik Bezug genommen, das heisst auf die eher konservierende Verschulung (nämlich der Systementwürfe der Hochscholastik). Den Zehnjährigen oder wenig älteren Schülern wurden starre Regeln der Grammatik, Dialektik und Rhetorik verbal vermittelt (Bücher gab es kaum), oder man darf wohl annehmen: eher eingetrichtert, ohne wirklich auf „Vermittlung“ im heutigen Sinne, auf ein Verstehen und einen substanziellen Lernerfolg zu setzen. Man bemühte sich also, nach den Grundfertigkeiten im Lesen, Schreiben, Rechnen und im Gesang das Trivium der artes liberales (vgl.o.) anzugehen (Adam 1962:10f.). Am Ende stand aller Bemühung – einschließlich körperlicher Züchtigung – zum Trotze selten die Fähigkeit, das Lateinische sinnvoll in Wort und Schrift anzuwenden.

Exkurs

Pädagogik als „Kunst des Erziehens“ ist einerseits eine recht moderne Fachdisziplin (ab dem 17.Jh.) und andererseits doch eine alt hergebrachte Geisteshaltung und Praxis, die sich im klassischen Griechenland lange vor Christi Geburt heraus bildete. Das christliche Mittelalter hat keine eigene Grundlegung der Pädagogik zustande gebracht, im Gegenteil gab es sogar religiöse Strömungen, die pädagogisches Tun ablehnten. Andererseits hat die klassische Stoa eine durchaus bedeutsame Wirkung über die Jahrhunderte hinweg beibehalten und schon im 14.Jh. enttheologisierte Tendenzen aufgewiesen. Im 15.Jh – im Zeichen des Humanismus (vgl.o.) – rückte der Mensch wieder „als Werk seiner selbst“ in den Vordergrund. Antike Begriffe lebten wieder auf, wurden aber vor allem nördlich der Alpen weitgehend noch in theologische Grundannahmen eingebunden. Die Besinnung auf klassische Schriftsteller und deren Geisteshaltung erleichterte den Weg – über die Form hinaus – zu den Inhalten von Texten und förderte auch das eigene Interesse an der Vervollkommnung von Wort und Schrift.

Als Magister Ludovicus 1441 als Rektor der Lateinschule in Schlettstadt berufen wurde, war die Zeit offenbar reif, um den unfruchtbaren Unterricht zu reformieren, der allein auf die von der Scholastik geprägte Dogmatik der Kirche im späten Mittelalter ausgerichtet schien. Louis Dringenberg (so berichten die französischen Quellen) trug einen neuen Geist in die Schule und zeichnete sich namentlich durch einen gesunden Menschenverstand aus (Wimpfeling nach Adam a.a.O.:13).

Wo bislang den Knaben – oder besser: jung als erwachsen verstandenen Menschen -– die Regeln der Grammatik zum bloßen Auswendiglernen diktiert worden waren, wurden diese nunmehr erklärt (bevor sie gleichwohl auswendig gelernt werden mussten). Obwohl, wie schon erwähnt, der Mensch damals mit sieben Jahren – nach Vollendung des Spracherwerbs – die Welt der Erwachsenen nahezu uneingeschränkt mit diesen teilte und in seinem Habitus kaum Unterschiede zu jenen erkennen ließ, wissen wir heute, dass dieser junge Mensch damit in mancher Hinsicht überfordert war. Gleichwohl: Er wusste im Prinzip, Gutes von Bösem zu unterscheiden und war arbeitsfähig. (33) Er konnte durchaus Mengen an auswendig gelerntem Stoff abspeichern, doch sofern er nicht unmittelbare Anweisung zur Anwendung des „Gepaukten“ mitgeliefert bekam, hielt sich dessen Wirksamkeit sehr in Grenzen. Denn parallel musste auch die Welt selbst wahrgenommen, „gelernt“, verinnerlicht werden, während das überlieferte Wissen der dozierenden Magister an einer Lateinschule (bzw. das Schriftgut der Scholastik und zunehmend wieder der Antike) noch nach Orientierung und Verortung in der Vorstellungswelt des inzwischen Zehn- oder Zwölfjährigen verlangte. Wenn wir uns heute vorzustellen versuchen, dass – für die Gebildeteren – wiederum nur drei oder vier Jahre später bereits die universitäre Laufbahn begann, kann man vielleicht die enormen Anforderungen und den erheblichen Zwang (auch physisch) verstehen, unter dem das Lernen im 15.Jh. stattfand.

Der neue Schulleiter begann damit, eine Reihe von überkommenen Texten als unnütz abzulehnen, ohne vorhandene Bücher vollends auszugliedern, aus anderen Texten entnahm er das, was nicht zu kompliziert war und was die Schüler weiter brachte. Dringenberg vermittelte einen Sinn für die Nützlichkeit des Gelernten, für die Ästhetik der Sprache und das Verständnis der (in der Regel hoch sittlichen) Inhalte. So konnte Lernen lebendiger, effektiver und offenbar auch freudiger geschehen. Ganz im Sinne des deutschen Humanismus wird aus seinem Wirken berichtet, dass Louis den Schülern seine eigene religiöse Grundeinstellung nahe legte, dass er aber auch einen Sinn für die Geschichte, insbesondere der Nation, des Vaterlandes vermittelte. (34)

So muss es nicht verwundern, dass Louis Dringenbergs Schule sich als sehr fruchtbar erwies und einige bedeutende Männer hervor gebracht hat. An heraus ragender Stelle ist hier sicher Jakob Wimpfeling (Wimpheling) zu nennen (1450-1528), ein Kind der Stadt, das schon früh in Ludwigs Lateinschule eintrat und von dem neuen Geist des Hauses nachhaltig profitierte. Wimpfeling studierte hernach in Freiburg und Heidelberg, wurde dort Professor für Rhetorik und für Lateinische Poetik (wird 1481 als Rektor erwähnt), später in Straßburg, und er wirkte bis zu seinem Tode als Humanist, als Historiker und Pädagoge – mit der Ehrenbezeichnung Praeceptor Germaniae –, der auch (unter Kaiser Maximilian) politisch-praktisch tätig war. – Als brillantes Einzelbeispiel fruchtbaren Lernens wird auch gerne auf Dringenbergs Schüler Peter Schott verwiesen, der schon als Zehnjähriger lateinische Dichtungen verfasste. (35)

Nach Dringenbergs Tod 1477 resümierte Wimpfeling: „Er arbeitete gleichsam als Apostel an der Heranbildung der Jugend; das Elsaß verdankt ihm einen bedeutenden Teil seiner Kultur.“ (36) So kann man auch nachvollziehen, dass die Elsässer heute den Westfalen Ludwig durchaus als „ihren Humanisten Louis“ begreifen und ihm großes Verdienst an der kulturellen Blüte Schlettstadts und des Elsass am Übergang zur Neuzeit zusprechen. Denn die Wirkungskraft der Lateinschule, wie sie von Louis Dringenberg 36 Jahre lang mit Leben erfüllt worden war, strahlte weit darüber hinaus ins 16.Jh. hinein. Unter seinen Nachfolgern (Crato Hofmann für den Rest des 15.Jh., Hieronymus Gebwiler im ersten Jahrzehnt des 16.Jh. und Johannes Sapidus bis 1525) genossen noch manche namhafte Männer die Ausbildung in dieser Lateinschule. Voran der Humanist Beatus Rhenanus (eigentlich Beat Bild, 1485-1547), dessen Stiftung vor allem der berühmten „Humanistenbibliothek“ zu Sélestat zugute kam, aber darüber hinaus auch eine Reihe von Diplomaten und Politikern. (37) Das Ende der Lateinschule begann etwa mit dem Rückzug Sapidus’ in 1525; die zu Ludwigs Zeit errichtete und für seine Schule unverzichtbare Bibliothek aber besteht heute noch. (38)

Die Reformation hatte mit Luther ihre Spuren im (heute noch überwiegend katholischen) Elsass hinterlassen und neben anderen Theologen auch Sapidus in ihren Bann gezogen. (39) Louis Dringenberg selbst – ein halbes Jahrhundert zuvor! – war ein „geistiger Reformator“ und kein Revolutionär. Er stand wohl fest auf dem Boden der Mutter Kirche – und bereitete dennoch wie alle Humanisten mit seinem Denken und Wirken der Reformation den Weg. (40)




4. Anmerkungen

Neben den Quellen, die zu diesem Essay herangezogen wurden, sei auch auf die Literaturliste zu meiner Familienchronik in dieser Website aufmerksam gemacht (Menü "Literatur"), die sich in Teilen mit der nachfolgenden Literaturliste (Kap. 5) überschneidet.

(1) Fürstbischof Bernhard V. (Gründer der Stadt Dringenberg) hatte das Hochstift Paderborn in zwei Verwaltungsbezirke geteilt, die durch das Eggegebirge getrennt waren. Dringenberg erhielt die Verwaltungsfunktion des „oberwaldischen Bezirks“ (so als Gerichtshoheit oder Steuerbezirk). Mehr dazu?
(2) Bis zu Ludwigs Zeit schrumpfte unsere Bevölkerung jedoch wieder – infolge mehrerer verheerender Pestwellen – auf rund 7,5 Mio. (um 1450).
(3) Daneben gibt es gewiss andere Entstehungszusammenhänge und regionale Besonderheiten – wie in Norddeutschland/-europa die Ableitung aus dem Vornamen des Vaters (Hans-son); einige Zeit lang pflegte man auch die Latinisierung des Namens. Auch die Hinzufügung des väterlichen Vornamens zum eigenen diente gerne der Identifizierung und führte zum neuen Hausnamen (Hermanns Sohn Peter wurde zu Peter Hermann).
(4) Vgl. zum Beispiel die Encyclopédie de l’Alsace:2463, aber auch die Matrikel von 1430 (Anm. 22).
(5) Näheres siehe im Text weiter unten (2. Heidelberg) sowie in Anm. 22.
(6) Pöppel (1980):67
(7) Vgl. zu Thomas von Kempen eine eigene Website.
(8) Vgl. hierzu z.B. Adam 1995 (1962):12.
(9) Encyclopédie, a.a.O., 2463f.; 1803 wurde das Augustinerkloster Böddeken säkularisiert. Das Ancien prieuré de Truttenhausen (XVe siècle) geht offenbar auf eine Gründung des 12.Jh. zurück (1181 Herrad de Landsberg fonde le prieuré de Truttenhausen: Quelle) Ende des 16.Jh., nach der Reformation, blieben nur wenige Häuser der einst sehr fruchtbaren Bewegung übrig. – Das 15. Jahrhundert muss man sich im Übrigen wohl nicht als eine Zeit radikalen Bruchs zwischen der „Via antiqua“ und der „Via moderna“ vorstellen, sondern eher als eine Entwicklungsphase, in der „alte“ und „neue“ Elemente der Auffassung von Literatur, Kunst und Wissenschaft und ihrer praktischen Umsetzung in der Lehre komplex miteinander verwoben sind (vgl. hierzu etwa Ritter 1922).
(10) Adam 1977:12
(11) zit. in: Encyclopédie:2463
(12) Die Hinweise zu den Reisewegen verdanke ich meinem Kollegen Hannes Kiebel. Vgl. im einzelnen Weczerka (1980):297ff. – Was die Hanse anbelangt, das namentlich im 14. und 15.Jh. bedeutsame Bündnis norddeutscher Kaufleute, so hat man sich in der Gegenwart wieder darauf besonnen und knüpft mit kulturellen und touristischen Aktivitäten an diese Tradition an: Die sieben Hansestädte an der Ijssel präsentieren sich seit 1980 im Verein: (von N nach S) Hasselt, Kampen, Zwolle, Hattem, Deventer, Zutphen und Doesburg.
(13) Vgl. in der o.a. Website Thomas von Kempen spezieller. Thomas gilt als einflussreichster Vertreter der oben bereits angesprochenen Reformbewegung (Devotio Moderna). Seine „Nachfolge Christi“ (um 1420 entstanden) gehört zu den Lieblingsbüchern der Christenheit bis in die Gegenwart (Ploetz:418).
(14) Mehr über Thomas vgl. die obige Internet-Fundstelle. In Zwolle selbst kann man Spuren des Thomas aufspüren. Die Liebfrauen-Basilika etwa beherbergt ein Gemälde von ihm:
„In 1398 wurde die Kapelle auch besucht vom berühmten Thomas von Kempen. Befor er ins Kloster St.Agnes auf dem Nemelerberg bei Zwolle eintrat, stellte er seinem Leben unter dem Schutz der Lieben Frau. In der Basilieka befindet sich ein Gemählde von ihm.“ [Internet-Text original] - Mehr dazu über die Website.
(15) Mehr über Zwolle.
(16) Prag 1348, Wien 1365; Heidelberg ist damit älteste Universität im heutigen Deutschland.
(17) Vgl. hierzu Rückbrod 1977:111ff. – Zur Bedeutung der Judenvertreibung für die Universität sei hier als Beispiel (aus den Rektorbüchern, Bd. I:449, anno 1410) zitiert: „Ruprecht I. ... gibt das Haus des geflohenen Juden Hirsch den Artisten zur späteren Gründung ihre Kollegiums; ... Ruprecht II. schenkt der Universität die Häuser und Bücher der vertriebenen Juden ...“
(18) Die herum ziehenden jungen Leute stellten in der fest gefügten Ordnung des Mittelalters ein Problem dar. Oft im Gefolge anderer „fahrender Völker“ (mit Handwerkern, Musikanten, Artisten, Dirnen, Scharlatanen) – schon des 13.Jh. –, gerieten die Vaganten (in Frankreich hießen sie Goliarden) nicht selten zur „Landplage“. Nach der harten Zucht der Klosterschule musste wohl die „Freiheit“ des Herumziehens nicht selten besonders drastisch erfahren werden. So bedeutet ihre Unterbringung in geregelten Lernverhältnissen (was zunächst nur im Ausland möglich war: man strebte gen Italien) eine dringend benötigte Lebensperspektive. Allerdings darf man sich nicht vorstellen, dass damit massenweise die Händel suchenden Jungen von der Straße geholt wurden. Denn einerseits gab es auch unter den Scholaren berüchtigte Raufbolde, obwohl sie im Studieralltag vom frühesten Morgen um 3 Uhr bis zum späten Abend arg eingespannt waren. – Zum anderen blieb die Universitas für lange Zeit ein elitäres Refugium: Die Gesamtzahl aller Studenten in Deutschland und im Ausland wird in der einen oder anderen Quelle für das Jahr 1500 auf nur 6.000 geschätzt (Ssymank 1935:23). – Noch im 16.Jh. soll für die einzelne Universität eine Zahl von 1.000 „eigentlichen“ Universitätsmitgliedern schon sehr hoch gewesen sein (in manchen Quellen wird nicht berücksichtigt, dass überlieferte, weitaus höhere Zahlen sämtliche Nicht-(Jung)Akademiker der Einrichtung mit beinhalten; Vivat Academia:17). – Die Zahl jährlicher Immatrikulationen, anfangs nur zwei oder drei Dutzend, wird (nach Ritter:71ff.) zu der von uns betrachteten Zeit Mitte des 15.Jh. zwischen 100 und 150 angenommen, zuwandernde Bakkalare und Magister mit einberechnet . – Vgl. zur Lage der Studenten allgemein und zu einzelnen Zahlenangaben betreffend Heidelberg z.B. auch: Klose 1967.
(19) Vgl. auch zum folgenden: Schulze/Ssymank 1910; Bauer o.J.; Grabein (Hrsg.): Vivat Academia o.J.
(20) Studentinnen wurden ohnehin erst gegen Ende des 19.Jh. zu einem Thema für deutsche Universitäten (nachdem man auch nur zögernd daran ging, das Mädchenschulwesen zu verbessern). Und wenn wir es gegen Ende des 20.Jh. – zumindest in manchen Fakultäten – für gewöhnungsbedürftig hielten, dass auch Menschen im fortgeschrittenen Lebensalter den Hörsaal frequentierten, geschweige „Seniorenstudien“ u.ä.m. eingeführt wurden, so kann man festhalten, dass hier gewissermaßen an eine ursprüngliche Altersverteilung angeknüpft wurde (womit sich der Vergleich auch bald erschöpft).
(21) Mediziner benötigten häufig 4 - 6 Jahre, Juristen 5 - 10, Theologen schon mind. 5 Jahre bis zum Baccalaureat und bis zu 9 Jahren bis zum Magister. (Grabein a.a.O.: 16) Aber erst der Doktortitel versprach dem Studiosus einen hohen sozialen Rang (auch dem Menschen von niedriger Herkunft!) und war dem Adelsprädikat gleichwertig. Mit dem „Doktor“ verband sich zudem die Aussicht auf lukrativeren Broterwerb – oder aber auf den Status des Hochschullehrers: Die Bezeichnung „Professor“ wurde erst im 16.Jh. allgemein üblich für den besoldeten und zur Lehre verpflichteten Doktor.
(22) Nach eigenen Recherchen sind Immatrikulation und Baccalaureat belegt mit Matrikel 1884:186; den exakten Beleg für die Magisterprüfung hält der Verf. noch nicht in Händen. – Aus Toepke a.a.O. (Matrikel) sind auch die Abbildungen im Text entnommen. Es handelt sich bei Toepke selbstredend (nur) um typographische Wiedergaben der Originalhandschriften – das sind im Falle der Imatrikulation die Eintragungen des Rektors Bartholomeus von Herkenroye am 20. Dezember 1430. Zum Magister wurde auf Bd. II der Matrikel zurück gegriffen, wo Toepke im Anhang II die nachweisbaren Magistereintragungen (auch für den Zeitraum des I. Bandes) aufführt: „Album magistrorum artium a. 1391-1620“ (Matrikel 1886: darin p. 381f.)
(23) Es steht zu vermuten, dass auch Pöppel (p. 67) sich auf diesen Eintrag bezieht, der aber tatsächlich bereits in 1430 erfolgte.
(24) Zu dem damals üblichen Verfahren vgl. Schulze/Ssymank 1910:54f. Als „arm“ galt demnach jemand dann, wenn er im Jahr über weniger als 10 Gulden verfügte. Das „notwendige Jahreseinkommen“ wird mit 20 Gulden angenommen; es entsprach etwa dem eines Handarbeiters. Zum Vergleich: Von der Universität Freiburg ist überliefert, dass der jährliche Aufwand der Studenten bei 20 fl. lag. Die Honorare der Professoren beliefen sich dort in der ersten Zeit (um 1460) auch nur auf 20 - 30 fl. im Jahr. Der erste Rektor erhielt „ausnahmsweise“ 100 fl. Die oft als „Hungerlohn“ bezeichneten Gehälter stiegen zwar gegen Ende des 15.Jh. auf 40 - 100 fl., doch ist der Geldwert in dieser Zeit erheblich gesunken. (Zu Freiburg siehe Bauer, J.:44ff.)
(25) vgl. z.B. Ssymank 1935:20
(26) Der Annahme Pöppels (p. 67), wonach Ludwig bereits 1434 nach Schlettstadt übersiedelte, kann nicht gefolgt werden.
(27) vgl. hierzu Pöppel:120ff.
(28) Nach einem geflügelten Wort fiel jedem der drei Hauptländer des Abendlandes bzw. der Christenheit etwas Besonderes zu – Italien das Papsttum, Deutschland das Kaisertum und Frankreich das Studium: Wissenschaft wird also in einem Atemzug oder „in gleicher Augenhöhe“ mit Kirche und Staat genannt (vgl. Reicke 1924:51).
(29) Noch 1482 etwa weigerte sich die Artistenfakultät in Heidelberg erfolgreich, einem verheirateten Magister die Leitung einer Burse zu gestatten (Urkundenbuch 1886:194).
(30) Encyclopédie, a.a.O., 2464 und Adam (1962)
(31) Unter dem Rektorat des Magister Johannes de Rysen eingetragen am 23. Juni 1431 (also ein halbes Jahr nach Ludovicus): Johannes Fabri de Sletzstat. Conradus Hamer de Sleetzstat. (Obwohl die beiden Eintragungen unmittelbar untereinander erfolgten, wich die Schreibweise ab. [Bei Conrad Hamer wird das b.art. zum 8.1.1433 angemerkt.])
(32) Sélestat ist heute eine Kleinstadt (an der Ill) von etwa 15.000 Einwohnern, sie gehört verwaltungsmäßig noch zum UnterElsass, also Nord-E. (Dépt. 67, Bas-Rhin) und lebt – neben einiger Industrie – nicht zuletzt vom Wein.
(33) Vgl. hierzu z.B. Ariès 1973
(34) Adam a.a.O. – Als Kennzeichen für den Humanismus deutscher Prägung gilt es, dass neben der Besinnung auf das lateinisch-griechische Bildungsgut die eigene Vergangenheit, quasi eine nationale Haltung, eine deutliche Rolle spielten.
(35) Zu Schott Adam (1962):34; zu Wimpheling vgl. vor allem Adam a.a.O. sowie z.B. auch Ritter (1936):448, 482ff. und Urkundenbuch (1886):216ff. – Wimpheling trägt einen herausragenden Namen im deutschen Humanismus ob seiner Verdienste um die „neulateinische“, i.e. an der antiken Klassik geschulten Literatur. (So auch die Hervorhebung der beiden „großen Stadtschulen“ Ulm und Schlettstadt [bei Ritter:454], mit denen die [literarische] „Bewegung in ein moralisch-pädagogisches Fahrwasser geriet.“)
(36) Wimpfeling: De arte impressoria, zit. nach Adam a.a.O.:14
(37) Adam (a.a.O.:66ff.) erwähnt besonders: Jakob Villinger, Beatus Arnolt, Jakob und Johannes Spiegel, Johannes Meier und Jakob Oechsel (Taurellus). Zu Rhenanus siehe ebenda:49ff.
(38) Im 1. Stock der historischen Getreidehalle – inmitten der Altstadt neben Sankt Fides gelegen, zählt sie "zu den 32 berühmtesten Bibliotheken der westlichen Welt", ein Kleinod, einer der "drei großen Kunstschätze" des Elsass (aus dem Führer der Humanistischen Bibliothek von Schlettstadt).
(39) Die Schlettstädter Paul Sidensticker (Phrygio) und Martin Bucer spielten eine bedeutende Rolle in der protestantischen Reform im Elsass (Adam:71f.). Die durchaus gelobten Nachfolger Sapidus’ als Leiter der Lateinschule bis 1559 konnten nicht mehr an den Glanz und die Wirkungskraft ihrer Vorgänger anknüpfen (Adam:24). – Im Übrigen mag man sich daran erinnern, das bereits zur Zeit Ludwigs eine epochale Neuerung auftrat, die den Lauf unserer gesamten Kultur entscheidend mitbestimmt hat: Etwa 1436 (in Straßburg!) hat Gutenberg die Geschichte der Buchherstellung revolutioniert (1455 entstand die lateinische Bibel); das erste „Massenmedium“ fand hier seinen Ursprung und veränderte höchst nachhaltig bald auch die Arbeitsbedingungen in allen Bereichen des Lehrens und Lernens. [Eine nützliche Zusammenstellung und Übersicht über zwei Jahrtausende der Entwicklung der „Informationsverbreitung“ findet sich im Internet (Literatur: Rehm).]
(40) Die Kritik an kirchlichen Missständen, die Förderung der Sprachstudien, Bildung allgemein – Leistungen des Humanismus – bereiteten Martin Luther den Weg. Auch Erasmus von Rotterdam forderte eine Erneuerung des Christentums, ohne allerdings die radikale Wende der lutherischen Lehre zu akzeptieren.




5. Literatur
einschließlich ausgewählter Internetquellen (am Ende der Liste)

Adam, Paul: Der Humanismus zu Schlettstadt, die Schule, die Humanisten, die Bibliothek, Sélestat 1995 (Übersetzung von Peter Schäffer, Universität Davis, Kalifornien, nach dem Original, erschienen Strassburg 1962 in: Les Lettres en Alsace, Société savante d’Alsace, p. 89-104)
Ders.: Louis Dringenberg, père de l’Humanisme alsacien (Il y a cinq siècles, en 1477, mourut à Sélestat), Annuaire 1977 (XXVII) Les Amis de la Bibliothèque de Sélestat, p. 11ff.
Die Amtsbücher der Universität Heidelberg, Reihe A, Die Rektorbücher der Universität Heidelberg, hrsg. v. Jürgen Miethke, (C. Winter), Band I, 1386-1410, Heidelberg 1999, Band II, 1421-1451, Heft 1, Heidelberg 2001
Ariès, Philippe: Geschichte der Kindheit, München 1973
Bauer, Johannes Joseph: Zur Frühgeschichte der theologischen Fakultät der Universität Freiburg i.Br. (1460-1620), Freiburg 1957
Bauer, Max: Sittengeschichte des deutschen Studententums, Dresden (Paul Aretz) o.J.
Encyclopédie de l’Alsace, Vol. 4, Strasbourg 1983, p. 2463f. (Stichwort „Dringenberg“)
Klose, Werner: Freiheit schreibt auf eure Fahnen, 800 Jahre deutsche Studenten, Oldenburg 1967
Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386-1662 (Erster Theil von 1386-1553; Zweiter Theil von 1554-1662), hrsg. v. Gustav Toepke, (Selbstverlag, in Commission C. Winter) Heidelberg 1884; 1886 (Kraus Reprint, Liechtenstein 1976)
Miethke, Jürgen: Mittelalterliche Universitätszepter: Meisterwerke europäischer Goldschmiedekunst der Gotik, Ausstellung zum 600-jährigen Jubiläum der Universität Heidelberg (Heidelberger Verlagsanstalt) 1986 [s. dazu den Link zum „Zepter-Artisten“]
Ploetz: Der Große Ploetz, Die Daten-Enzyklopädie der Weltgeschichte, 33. Auflage (2002)
Pöppel, Diether: Dringenberg – Stadt, Burg und Kirche im Laufe der Jahrhunderte, Dringenberg o.J. (1980)
Rehm, Margarete: Information und Kommunikation in Geschichte und Gegenwart, Berlin (2000), unter: http://www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/infopub/textbook/umfeld/rehm.html
Reicke, Emil: Der Gelehrte in der deutschen Vergangenheit, Bayreuth o.J. (unveränd. Nachdruck der 2. Original-Auflage 1924)
Rektorbücher der Universität Heidelberg s. Amtsbücher
Ritter, Gerhard: Die Heidelberger Universität - Ein Stück deutscher Geschichte, Erster Band, Das Mittelalter (1386-1508), Heidelberg (C. Winter) 1936
Ders.: Via antiqua und Via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts (unveränd. Nachdruck der Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Jg. 1922), Heidelberg (C. Winter) 1963
Rückbrod, Konrad: Universität und Kollegium, Baugeschichte und Bautyp, Darmstadt 1977
Schulze, Friedrich und Ssymank, Paul: Das Deutsche Studententum von den aeltesten Zeiten bis zur Gegenwart, Leipzig (R. Voigtländer) 1910
Ssymank, Paul: Von Studenten, Magistern und Professoren, Leipzig (Bibliographisches Institut) 1935
Urkundenbuch der Universität Heidelberg, Erster Band, Urkunden, hrsg.v. Eduard Winkelmann, Heidelberg (C. Winter) 1886
Vivat Academia – 600 Jahre deutsches Hochschulleben, hrsg. v. Paul Grabein, Essen (Carl Behrendt) o.J.
Weczerka, Hugo: Mittelalterliche Verkehrswege, in: Köln - Westfalen 1180-1980 (Landesgeschichte zwischen Rhein und Weser, Band I, Beiträge) o.J., p. 297ff.

Internetfundstellen
mit Kurzbezeichnungen, sofern sich der Recherche-Gegenstand nicht leicht aus der Web-Adresse erschließt

http://www.dringenberg-history.de
http://www.dringenberg-home.de/Ahnenforschung.html
Die vormalige Stadt Dringenberg:
http://www.dringenberg.de/
Institut für Bibliothekswissenschaft Humboldt Universität Berlin:
http://www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/infopub/textbook/umfeld/rehm3.html
http://www.olvbasiliek-zwolle.org/deutsch.htm
http://www.paderborn.de/ (und über Paderborn in englischer Sprache):
http://www.newadvent.org/cathen/11383c.htm
http://www.thomas-von-kempen.de/allgemein/leben.html (und daraus spezieller):
http://www.thomas-von-kempen.de/allgemein/devotio.html
http://www.ville-selestat.fr/
http://www.visit-alsace.com/selestat/index_de.html
http://www.uni-heidelberg.de/sitemap.html
http://www.uni-heidelberg.de/univ/willkommen/bibliothek.html
http://www.uni-heidelberg.de/magazin/2002/grafik/0302/zepter_artisten.jpg
http://www.angelfire.com/journal/NL/NiederlandeWZ.html#Zwolle

Kurzbiographien zu den eingangs genannten Humanisten finden sich im Internet z.B. unter:

http://www.iicm.edu/meyers,
- etwas ausführlicher z.B. im Österreich Lexikon:
Agricola: http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.a/a162393.htm
Celtis: http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.c/c262745.htm
- oder ausführlich unter spezifischen Adressen wie:
http://www.melanchthon.de.





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R.D. fecit 2003
Stand der Recherchen: 17.02.2003
Leicht redigierte Fassung: 18.06.2003

Die Reihe der Artikel zu "Notizen der Geschichte" im Rahmen der DRINGENBERG-Forschung befindet sich noch im Aufbau.