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Franz von Assisi, eigentlich Johannes Baptista (italien. Giovanni), genannt Franceso
* Ende 1181 / Anfang 1182 in Assisi (Umbrien) † 3.12.1226 in Assisi
Gliederung
Zur Vita – ein Überblick
Das Hochmittelalter – eine gefährliche Zeit für kritische Geister
Erklärungsversuche: Gebunden und vollendet in Raum und Zeit
Es wird schwer fallen, einen zweiten Heiligen von solcher Popularität zu benennen wie diese Lichtgestalt des frühen 13.Jahrhunderts. Ungewöhnlich reich ist das Schrifttum über den Heiligen, angefangen mit seinen eigenen Schriften, über die Zeugnisse und „Legenden“ von Weggefährten oder Zeitgenossen bis hin zur Jahrhunderte langen Rezeptionsgeschichte. Wenn wir uns hier mit Franziskus von Assisi (1) befassen (nachdem wir endlich Zeit fanden, Umbrien zu besuchen und seine Spuren für uns persönlich zu entdecken), dann ist das Interesse nicht primär theologischer Natur, sondern gilt dieser einzigartigen historischen Persönlichkeit des Hochmittelalters. Man muss neugierig werden, wenn man erfährt, dass aus einem begüterten Kaufmannssohn ein kompromisslos frommer und radikal armer Mann wird und ein Ordensstifter „wider Willen“. Eine unbeugsame Natur, die in einer kritischen Phase der Kirchengeschichte mit geradezu revolutionären Ideen nicht nur überlebt, sondern sogar – in unvorstellbarem Tempo – die höchsten Weihen das Apostolischen Stuhls erhält. Franziskus selbst beschrieb sich später als 'ignorans et idiota'. Es wird darzustellen sein, dass diese Selbstcharakterisierung ebenso irreführend ist, wie sie ein bezeichnendes Licht auf sein demütiges Wesen wirft; es mag aber auch Teil einer gekonnten Selbstinszenierung sein.
Pietro di Bernardone und seine Frau Giovanna Pica (die vielleicht aus Südfrankreich stammte) hatten zumindest zwei Kinder. Giovanni wurde geboren, als der Vater, ein Tuchhändler in Assisi, wieder einmal in Frankreich auf Geschäftsreise war. Nach Rückkehr gab er Giovanni den Beinamen Francesco („Franzose“). Das trug sich um die Jahreswende 1181/1182 zu. Francesco erhielt die erforderliche Ausbildung in elementaren Kulturtechniken, um sich dereinst im Fernhandel zu bewähren. Der Vater führte ihn auch ins Provençalische ein, und Grundkenntnisse des Latein gehörten dazu. Wenn Franziskus sich später als „Laien“ (idiota) bezeichnete, dann trifft das gewiss zu im Vergleich zu den Gelehrten der Kirche, unwissend war er jedenfalls nicht.
In der Jugend genoss Francesco – altersgemäß – das Leben im Freundeskreis, bis er (Anfang zwanzig) mit in den Krieg gegen die mächtige Nachbarstadt Perugia zog und mit der Niederlage Assisis anno 1202 für ein Jahr in Gefangenschaft geriet. Bald danach wurde er krank – und sollte bis zu seinem Lebensende ein kränkelnder Mensch bleiben. Gleichwohl wirkte sich auch in ihm die – seiner Zeit gemäße – schwärmerische Neigung zum Rittertum aus (die vom provençalischen Einfluss seiner Ausbildung her gefördert sein mochte) und veranlasste ihn, mit einem Adligen nach Apulien aufzubrechen, um sich im Kampf gegen die Staufer auf päpstlicher Seite den Ritterschlag zu verdienen. Doch schon in Spoleto (noch in Umbrien) soll er eine seiner Visionen gehabt haben; sie ließ ihn umkehren.
Auf ähnlichem Weg, so die verschiedenen Lebensbeschreibungen von Zeitgenossen, wurde ihm bedeutet, dass sein Rittertum ein rein geistliches und „seine Braut“ die „Frau Armut“ sei. Man liest von einem mehrjährigen Bekehrungsprozess des jungen Mannes, welcher in einem ebenso spektakulären wie symbolträchtigen Auftritt 1206 vor Guido III., Bischof von Assisi, gipfelt. Vorausgegangen war das Vergehen des jungen Mannes, der aus väterlichem Laden Tuch entwendete und verkaufte – für einen guten Zweck, versteht sich. Der Vater bestrafte ihn und klagte ihn später offiziell an.
Von namhaften Künstlern alsbald festgehalten, darf die Nachwelt bis heute das nachfolgende Ereignis nachempfinden: Franziskus entledigt sich sämtlicher Kleider, sagt sich vom Vater los und tritt nackt vor den Bischof, der ihm gnädig ist und schützend in den Arm schließt (sh. das Bild). (2)
Kompromisslos wie die vollendete Nacktheit dieser Inszenierung ist die Hinwendung zur Mutter Kirche und sein bedingungsloser Gehorsam gegenüber deren Amtsträgern in der Folgezeit.
In den beiden folgenden Jahren sah man ihn zunächst im Habitus eines Eremiten einhergehen und in praktischer Arbeit dem Verfall naheliegender Kirchengebäude entgegenwirken. Nach einer weiteren Erleuchtung anno 1208 gab er sich kleidungsmäßig noch ärmlicher (trug z.B. statt eines Gürtels nur noch einen Strick um den derben Stoff seiner Kutte): mental bereits in der Nachfolge Christi und seiner Jünger. Gefährten ließen nicht lange auf sich warten. Es ist bemerkenswert, dass namhafte Bürger Assisis sich ihm anschlossen. Selbst noch auf der Suche nach dem richtigen Weg, holte Franziskus sich die Weisungen für sein Leben und das seiner Brüder nach dem Zufallsprinzip aus der Bibel. Wie Kinder heute im Spiel den Anfangsbuchstaben für ein Worträtsel finden, indem sie „blind“ in einen Buchtext deuten, so schlug der Legende nach Franziskus dreimal die Heilige Schrift auf und gewann drei Kernaussagen, die als Grundstock einer Regel für ihre informelle Bruderschaft dienten. Inzwischen vervielfachte sich die Zahl seiner Anhänger, auch Frauen schlossen sich ihm an. Clara von Assisi (später Santa Chiara), Tochter aus adligem Hause, ist die bekannteste seiner Gefährtinnen (anno 1212).
Franziskus war mit seinen Gefährten bereits 1209 nach Rom gezogen, damals zwölf (!) an der Zahl, und erhielt von Papst Innozenz III. (vgl.u.) die mündliche Anerkennung ihrer Lebensform. Dieser ungewöhnliche Fortschritt seiner Bemühungen wäre nicht ohne seinen Fürsprecher, den Bischof von Assisi, möglich geworden. Auf dem Rückweg dürfte es einige Diskussion gegeben haben, denn ein Grundwiderspruch ihrer Lage war unübersehbar: Einerseits die Gehorsamserklärung gegenüber dem Papst, andererseits ihr elementares Armutsideal, das an der Wirklichkeit von Mutter Kirche weit vorbei ging. Um letzte Zweifel auszuräumen und auch die schriftliche Anerkennung des Papstes zu erlangen, musste ihre religiöse Bewegung eine formale regula zu ihrer Beschreibung und Organisation entwickeln. Erst 1223, im Zuge interner Auseinandersetzungen (vgl.u.), erfolgte die offizielle Anerkennung durch Papst Honorius III. Der Weg von der Bruderschaft zum Orden war nun wirksam vollendet.
Am Westende des Mittelschiffs der Basilika Sta. Maria in Rivotorto, zu Füßen Assisis, findet man heute eine rekonstruierte Hütte, in der die junge Bruderschaft lebte und an ihren Regeln arbeitete; eine Kopie ist dort ausgehängt. Als Otto IV. im Herbst 1209 auf dem Weg zur Kaiserkrönung hier vorbeizog, so die Legende, überließ Franziskus es seinen Brüdern, ihm zu begegnen. Bald darauf mussten sie umziehen und nahmen endgültig ihren Sitz in der Portiunkula-Kirche, heute als Kapelle in der weithin sichtbaren Basilika San Francesco (ebenfalls unterhalb von Assisi gelegen).
In Franziskus’ ungewöhnlichem Leben erscheinen zumindest noch zwei Ereignisse von besonderer Aussagekraft erwähnenswert. Das eine zeugt von einem fast weltentrückten missionarischen Eifer. Nach zweimaligem Anlauf zog er 1219 nach Ägypten, in friedlicher Absicht im Rahmen der 5. Kreuzzugswelle. Er verstieg sich dazu, vor dem Sultan zu predigen und wollte Muslime zum christlichen Glauben bekehren. In welcher Sprache das geschah, bleibt offen!? Er hatte das große Glück, dass man ihn für verrückt hielt, denn im Islam wurden Wahnsinnige nicht bestraft. Man lieferte ihn einem christlichen Vorposten aus.
Neben vorhandenen organischen Leiden im ohnehin geschwächten Körper brachte Franziskus obendrein eine Augenkrankheit mit, die schließlich zur Erblindung führte. Damit nicht genug, musste er in Umbrien feststellen, dass seine Bewegung ihm zu entgleiten drohte. Es gab Richtungsstreit, wie man ihn halt in allen menschlichen Organisationen kennt. Nicht alle Gefährten teilten seine kompromisslosen Erwartungen als Mindere Brüder. (3) 1220/21 übergab er die Ordensleitung und zog sich nach und nach zurück. In einer Einsiedelei geschah der Legende nach 1224 das wundersame Ereignis der Stigmatisation: Wundmale am Körper, wie sie von Christus selbst überliefert sind. Damit war das Bild eines von Gott Erwählten perfekt. Franziskus starb zwei Jahre später, nachdem er sich in die Portiuncula hatte tragen lassen. Nochmals zwei Jahre später, 1228, wurde er bereits heilig gesprochen. Die Capella del Transito auf der Südseite des Choreingangs von San Francesco dient heute dem Gedenken an seine Himmelfahrt.
Die Besonderheit dieses Heiligenlebens liegt in historischer Betrachtung nicht zuletzt darin, dass es Franziskus gelang, eine Reformbewegung zu gründen, die zwar auch sehr kritisch beobachtet, aber schließlich kirchenamtlich akzeptiert wurde. Das war alles andere als selbstverständlich. Die römische Kirche prosperierte im Hochmittelalter. Mit dem Bevölkerungswachstum, der Verstädterung, dem blühendem Handel und produktiveren Landwirtschaft wuchs auch der Reichtum der Kirche. Im Hochmittelalter nahm aber auch die Bildung zu, und Bildung blieb nicht im bisherigen Maße dem Klerus vorbehalten. Schließlich war die Kirche in sich uneins und befand sich in vielfacher Auseinandersetzung mit weltlichen Herrschern, auch, weil es um die Vormachtstellung im Reich ging. Es gab Gegenpäpste, es gab die Kirchenspaltung, es gab mancherlei Gründe für denkende Menschen, Papsttum und Klerus (auch) kritisch zu sehen und Verbesserungen einzufordern.
Seit dem 11. Jahrhundert entwickelten sich diverse Reformbewegungen. Parallel zur Wohlstandsentwicklung entstand ein Bedürfnis unter den Christen, aller Macht und allem Reichtum der Kirche eine Haltung der Armut entgegenzusetzen, wie es von Christus selbst vorgelebt war. Solche Reformbewegungen setzten schon lange vor dem 1. Kreuzzug ein. Franziskus schaute auf Vorbilder, die weit über 100 Jahre zurücklagen und deren Grundideen immer neue Reformgruppen schufen. Im 12. Jahrhundert waren es namentlich die Waldenser und die Lombardisch Armen und insbesondere die Katharer, die für Unruhe sorgten.
Die westlichen Gesellschaften erlebten eine zunehmende soziale Differenzierung: Neben die Besitzenden des Adels traten neue Reiche im Bürgertum durch das Erblühen der Wirtschaft, die Abstände zwischen den gesellschaftlichen Gruppen mochten krasser wirken, und zu den immer schon Benachteiligten traten neue Armut und neue Abhängigkeiten. Es gab Handlungsbedarf, auf den die Kirche nur wenig einging, dabei selbst aber immer reicher wurde. Die Armutsbewegungen traten zum Teil heftig für ein Umdenken des Christenmenschen ein, aber auch für eine Erneuerung der Kirche von innen heraus. Kein Wunder, dass solche Ideen die Sorge vor einem gesellschaftlichen Umsturz entstehen ließen. Rom reagierte in aller Konsequenz und Grausamkeit, wenn man an die Verfolgung der Katharer denkt, die, als Ketzer verdammt, sogar Opfer eines „Kreuzzugs“ – im Herzen der Christenheit – wurden.
Folgerichtig begegnete auch Franziskus einer starken Skepsis am Heiligen Stuhl, da er doch mit seinem Armutsideal implizit den Reichtum des Vatikan anprangerte. Doch ihm ging es zunächst gar nicht darum, einen Orden zu gründen, sondern mit seinen Gefährten als Buß- und Wanderprediger aktiv tätig zu werden – und das ausdrücklich im Schoß der Mutter Kirche. Die Fürsprache seines Förderers, Bischof Guido, wird in Rom gehört worden sein. Mehr noch scheint aber eine nächtliche Erscheinung des Papstes (so die Legende) den Ausschlag gegeben zu haben, Franziskus weiter gewähren zu lassen: Innozenz III. träumte demnach von einem einfachen Mann, der die vom Einsturz bedrohte Laterankirche stützte (sh. das Bild). (4)
So zweifelhaft es ist, dass dieser Traum wirklich stattfand, steht er doch für das geschickte Taktieren und die Weitsicht eines klugen und geistig wendigen Papstes, der eine nützliche, neue religiöse Bewegung vorsichtig ihren Weg nehmen ließ.
Franziskus war in vielerlei Hinsicht ein Heiliger, der aus dem Rahmen fiel. Das lässt ihn in historischer Betrachtung besonders interessant erscheinen. Wenn man Franz von Assisi als Menschen in seinem Raum und seiner Zeit würdigt (das sind die Grunddimensionen allen Handelns), dann fällt eines bei ihm auf: Mit Ausnahme der Kreuzzugserfahrung in Ägypten ist er seiner Heimat immer treu geblieben und verwarf auch andere Reiseabsichten recht bald.
Und eben dort – in Umbrien und Umgebung – hatte Franziskus auch Erfolg. Er musste nicht wie viele andere in die Ferne ziehen, um Geltung zu gewinnen. So beschränkt die räumliche Handlungsebene dieses frommen Mannes war, so unendlich weit dehnte sich die Wirkungsebene (der Franziskaner) in der Welt aus.
Franziskus war aber auch ein Kind seiner Zeit. Er war wie andere geprägt von den Strömungen seiner Zeit, die das Armutsideal in den Vordergrund stellten. Auch die Wandlungen der Frömmigkeitsgeschichte des Hochmittelalters wirkten in ihm nach und wurden von ihm gefördert: Die bislang dominierende (und wohl noch andauernde) Angst vor dem rächenden Weltenrichter begann der Hoffnung auf einen gnädigen Gott zu weichen. In der Ausrichtung auf Christus und dessen Leben als Armer entstand dann die Vorstellung, dass dies zum Vorbild für das eigene Leben werden müsse. Der poverello, wie Franziskus genannt wurde, war nicht seine Idee, sondern lag im christlichen Zeitgeist begründet – wenngleich niemand das so radikal umsetzte wie Franziskus.
In dieser Radikalität war Franziskus bei aller Kirchentreue doch – entschiedener als alle anderen Berufenen des Hochmittelalters – der „gedankliche Sozialrevolutionär“ des 13. Jahrhunderts. Ein Mensch, der in den zwanzig Jahren seines Wirkens (1208-1228) – auf engstem geographischen Raum – in Raum und Zeit seiner Gegenwart und in der Zukunft einen kaum vergleichbaren Nachhall erfuhr. Ein Nachhall, der aber womöglich andere Richtungen einschlug, als er es gewollt hätte.
Nach unserer Überzeugung bewirkte nur noch jener Augustinermönch einen gewaltigeren Einschnitt in der Geschichte der westlichen Christenheit, der (auch er ohne diese Intention) 300 Jahre später die Reformation einleitete.
Das heutige Grabmal des Franziskus unter der Unterkirche der Basilika Maior San Francesco in Assisi
Anmerkungen:
(1) Dieses Fresko des Franz von Assisi in der Kapelle des Hl. Gregor im Kloster San Benedetto gilt als das älteste – noch zu seinen Lebzeiten – entstandene Bild, weil er darauf noch ohne Wundmale und Heiligenschein dargestellt ist.
(2) Giotto di Bondone (bekannt einfach als Giotto) um 1295
(3) Ordo Fratrum Minorum oder im deutschen Sprachraum die Minderbrüder, Minoriten. (In Frankreich übrigens Cordeliers genannt: nach den Kordeln, die als Gürtelersatz die Kutte zusammenhalten.)
(4) Giotti di Bondone in der Basilika San Francesco, Assisi, Oberkirche (1290-1295); aus dem Online-Heiligenlexikon
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Bevorzugte Literatur:
Helmut Feld, Franziskus von Assisi
Werner Goez, Lebensbilder aus dem Mittelalter
Horst Fuhrmann, Die Päpste
Nach Eindrücken einer Reise in Mittelitalien (Umbrien) im Sommer 2011 verfasst.