Home › Familien › Grebenstein-Essen › CHRONIK › Kapitel VI
Verbindendes Merkmal der nun beginnenden Epoche ist ein erstarkendes Preußen, das sich besonders mit dem Namen Otto von Bismarck verbindet, er wird 1862 Ministerpräsident. Im Kampf um die Vormachtstellung in Europa finden Auseinandersetzungen mit Österreich und Frankreich statt, die auch deutsche Länder untereinander spalten. 1866 spitzt sich der Konflikt zu, und nach der Schlacht von Königgrätz im "Deutschen Bruderkrieg" wird der größere Teil Hessens preußisch, als preußische Provinz Hessen-Nassau. Das Gebiet des Königreichs Preußen und seiner Verbündeten dehnt sich in der Tat "von der Maas bis an die Memel" aus, überzieht einschließlich der annektierten Gebiete den gesamten deutschen Norden, Westen und Osten - mit Ausnahme eines Rests Sachsens - und reicht fast - im Frankfurter Raum - bis zum Main.
Bald darauf folgt der Deutsch-französische Krieg 1870/71, der mit einem neuen Deutschen Reich (dem Zweiten) endet. Wer kennt nicht das Bild von der Ausrufung König Wilhelms I. von Preußen zum neuen deutschen Kaiser im Spiegelsaal zu Versailles! Man erinnere sich: Der Kaiser war bis dato ein Habsburger und saß in Wien, er bildete ein Hemmnis für die Entstehung eines deutschen Nationalstaates nach 1848. So entwickelt sich im deutschen Einheitsstreben statt einer "großdeutschen Lösung" eine "kleindeutsche", die im Kern preußisch ist.
Bismarck ist 1871 – 1890 Reichskanzler. Neben seiner Außen- und Innenpolitik soll seine Sozialpolitik Geschichte machen. In den 80er Jahren erfolgt die Grundlegung einer deutscher Sozialversicherung, 1890 folgt die Arbeiterschutzgesetzgebung (Verbot der Kinderarbeit), 1900 das BGB. Das alles reicht nicht aus, um dem zunehmend selbstbewußten Bürgertum und langsam auch einer Arbeiterbewegung zu genügen. Zu drastisch entwickeln sich die Probleme der Industriegesellschaft, und zu kritisch wird der Geist des "Untertan" auf dem Weg zum "Bürger". Die ständische Gesellschaftsordnung wird seit Jahrzehnten durch die Bedingungen der Industriegesellschaft nach und nach abgelöst, es entsteht zunehmend eine Lohnarbeiterschaft, das "Proletariat". Am Ende des 19. Jh. bilden sich die Sozialdemokratie und die deutschen Gewerkschaften heraus, später der Kommunismus. Die "Soziale Frage" wird zu einem beständigen zentralen Problem (nicht nur) in Deutschland.
Auf dem großen politischen Parkett versagt der 2. deutsche Kaiser Wilhelm II. (1888 – 1918) kläglich in seiner Außenpolitik. Die Gegensätze unter den Großmächten nehmen zu, schließlich führt der 1. Weltkrieg (1914 – 1918) zu einer in der Geschichte beispiellosen Massenvernichtung von Menschen, aber auch von materiellen Gütern. Etwa 10 Millionen Tote sind zu beklagen, davon 1,8 Mio. in Deutschland und nicht viel weniger in Rußland, auch Frankreich und Österreich-Ungarn weisen ähnlich hohe Verluste auf (Ploetz: 1252). Das Ende des "Zweiten Reichs" ist besiegelt.
Unsere 13. Generation Dringenberg heißt Johannes Reinhard August Martin und wird am 26. Juni 1853 noch in Allendorf geboren. Johannes Reinhard wird am 17. Juli getauft. Sein Beruf wird als Weißbinder angegeben, wie zuletzt bei seinem Vater Johannes. Er heiratet mit knapp 23 Jahren noch in Allendorf, am 8. Februar 1876 (kirchlich am 20.), die acht Jahre ältere Charlotte Sann (* am 31. Juli 1845), an die sich Zeitzeugen des 20 Jahrhunderts in Essen noch gut erinnern konnten. (16) Unser Stammhalter, nach seinem Vater ebenfalls Johann Reinhard, wird 1880 noch in Hessen geboren, in Sooden (damals Kreis Witzenhausen).
Vater Johannes Reinhard wandert im mittleren Alter, wir wissen nicht, wann genau, weiter westlich nach Preußen. Mutter Charlotte, Sohn Johannes Reinhard und dessen älterer Bruder Reinhard Christian (* 21.1.1874) begleiten ihn. Dazu weitere Kinder, wobei wir nicht genau wissen, wieviele es sind und ob alle schon in Hessen geboren werden. Es sollen sieben gewesen sein. (17) Sie ziehen ins ferne Westfalen – und gleich an dessen Westgrenze, nach Bochum-Weitmar. Man darf annehmen, daß die Aussicht auf Arbeit im Ruhrgebiet den Anlaß dazu boten. Der Vater wird – mit max. 30 Jahren – Fabrikarbeiter und soll es noch zum Meister gebracht haben, so das Stammbuch. Zeitzeugen sind leider nicht mehr zu befragen.
Von der neuen Heimat hat Johannes Reinhard nicht viel. Er stirbt nach wenigen Jahren bereits am 27. Juli 1886 im Alter von 33 Jahren. Seine Frau Charlotte überlebt ihn um fast 47 Jahre, also fast ein Menschenalter, und sie prägt die Familie, bis sie am 17. Februar 1933 im hohen Alter von gut 87 Jahren ihre Augen schließt, - ehe sich in Deutschland eine neue, finstere Epoche auftut.
Unsere 14. Generation heißt abermals Johann Reinhard - und wird am 31. März 1880 noch in Hessen geboren (s.o.), er ist der Großvater des Verfassers. Man merke, daß bei ihm wie bei seinem Vater der Rufname – Reinhard – unterstrichen ist, wie man das in der Bundesrepublik noch ein paar Jahrzehnte lang (im Stammbuch) zu handhaben pflegte. Wir wissen, daß er in der Verwandtschaft Reinhold gerufen wird, um ihn unterscheiden zu können, auch von seinem eigenen Sohn, der wieder Reinhard heißt.
Aus der Familie des letzten hessischen Dringenberg, Johannes Reinhard in Bochum (der 13. Generation), stammen der mündlichen Überlieferung nach (Alfred "Alibert", s.o., Sohn von Christian) – wobei die Aufzählung lückenhaft sein mag:
1. Christian (mit Alfred und Else, keine [bzw. keine männlichen] Nachfahren)
2. Heinrich (mit einer Tochter)
3. Johann (mit einer Tochter Marga in Bochum-Linden)
4. Else (vh. Frey, vermutlich nicht mit einem Sohn)
5. Ottilie (vgl.u.)
6. unser Johann Reinhard und
7. Ernst (ein Sohn, s.u.);
das ist also die 14. Generation.
Und in der 15. Generation, sofern man nicht (zunächst) in Bochum verbleibt, verzweigt es sich ins Sauerland (nach Menden: Karl-Heinz, Sohn von Ernst) oder aber nicht mit männlichen Nachfolgern.
Kenntnisse über die 16. Generation außerhalb Essens fehlen weitgehend (vgl. aber neuerdings in der Navigationsleiste der Familien den Zweig "Süddeutschland").
Ottilie, genannt Tilla, war in unserer Linie die erwähnenswerte "Lieblingstante", die sich in Amsterdam verheiratete (Timy) und zwei Töchter hatte, Else und Erna, beide verstorben. Um diese Tanten (15. Generation) durfte sich der Verf. vor allem zu deren Lebensende hin selbst kümmern. Sonstige Kontakte (aus den Linien i.R. dieser Zeilen) gibt es keine mehr.
Unsere 14. Generation heißt abermals Johann Reinhard - und wird am 31. März 1880 noch in Hessen geboren (s.o.), er ist der Großvater des Verfassers. Man merke, daß bei ihm wie bei seinem Vater der Rufname – Reinhard – unterstrichen ist, wie man das in der Bundesrepublik noch ein paar Jahrzehnte lang (im Stammbuch) zu handhaben pflegte. Wir wissen, daß er in der Verwandtschaft Reinhold gerufen wird, um ihn unterscheiden zu können, auch von seinem eigenen Sohn, der wieder Reinhard heißt.
Eigene Erinnerungen an diesen Opa gibt es (im 21. Jh.) keine mehr, da er ebenfalls zu früh starb. Nur die Erzählungen innerhalb der Familie bleiben (noch) lebendig. Er findet Arbeit als Monteur und soll durch energisches Arbeiten und erhebliche Kräfte aufgefallen sein. Die Familie spricht von verantwortlicher, leitender Tätigkeit in der dem Bergwerk zuarbeitenden Montage, er arbeitet also noch "praktisch", das heißt mit eigenen Händen.
Johann Reinhard geht den kleinen Schritt von Weitmar nach Kupferdreh (heute Stadtteil von Essen) und befindet sich damit im Rheinland. Er heiratet am 21. März 1922 die um 16 Jahre jüngere Helene Nolzen (* am 4. August 1896). Die Großmutter des Verfassers stammt aus dem Bergischen Land (Wuppertal), aus soliden bürgerlichen Verhältnissen (der Vater war Landwirtsmeister), in denen neben "Gottesfurcht" (so hieß das wirklich!) vor allem Sauberkeit und eine gepflegte Küche hochgehalten wurde. Davon sollte auch noch ihr Enkel profitieren. Nach einer Totgeburt am 9.11.1922 bekommen sie 1924 ihren einzigen Sohn Reinhard.
Das Leben in Kupferdreh findet in einer kleinstädtischen, zunächst eher dörflichen Umgebung mit gewachsenen nachbarschaftlichen Strukturen statt, und in kleinbürgerlichen Verhältnissen, in denen man aber sein Auskommen findet.
Am 4. März 1948 stirbt "Reinhold", der letzte Dringenberg, der noch außerhalb Essens geboren wurde, in Kupferdreh am qualvollen Ende eines zähen Ringens seiner robusten Natur, nachdem er wenigstens den einzigen Sohn lebend aus dem Krieg zurück weiß und mit Schwiegertochter (der Mutter des Verfassers) und einzigem Enkel (d. Verf.) immerhin für zweieinhalb Jahre bei sich (i.e. im wesentlichen: an seinem Krankenlager) hatte.
Oma Helene lebt noch bis zum 11. April 1958, sie stirbt 61jährig während eines Kuraufenthaltes in Stromberg (Hunsrück).