Home › Familien › Grebenstein-Essen › CHRONIK › Kapitel VII
Auf dem Papier ist der Sprung vom 1. zum 2. Weltkrieg (1939 – 1945) schnell getan. Die Folgen des 1. Krieges dauern zwar an, doch ist der Lebenswille der Menschen nach 1918 ungebrochen – für uns symbolisch in den "wilden 20ern" erhalten, "the Golden Twenties" (oder Roaring Twenties in der Musik), Deutschland lebt wieder auf, namentlich in Berlin. Doch schon 1930 gibt es mit der Weltwirtschaftskrise Dämpfer im Lebensgefühl, und 1933 beginnt mit der "Machtergreifung" Hitlers die dunkelste Phase der Gegenwart, ein "Drittes Reich", das man schamhaft übergehen möchte und doch nie vergessen kann oder darf. Am Ende dieser weltweiten Katastrophe stehen Befunde und Opferzahlen, die jene des 1. Weltkriegs weit in den Schatten stellen und in dieser schwindelerregenden Dimension fast wieder an Aussagekraft verlieren: 55 Mio. Tote ist eine solche Zahl (Ploetz:1419), die man kaum kommentieren kann, - höchstens mit Stichworten wie Judenverfolgung, Vermißte, Vertriebene oder dem Hinweis auf die erste Atombombe endlos anreichern könnte.
Wundersam – mit fremder Hilfe und eigener Kraft – geht es nach 1945 bald bergauf. Die Bundesrepublik Deutschland ist das neue Staatsgebilde, das den Westen Deutschlands alsbald in die Moderne führt. Auf das Grundgesetz am 23. Mai 1949 folgen die mühseligen und konservativen 50er Jahre, die Prosperität der 60er Jahre; und die Grenzen des Wachstums werden in den 70er Jahren schon erfahren, während sich in der Gesellschaft - durch ein neues kritisches Verhältnis von Individuum und Staat, Emanzipation der Frau und ein zunehmend gelebtes Selbstbewußtsein - alle Bürger auf eine neue Zukunft auszurichten beginnen. Mit dem Abbau der großen Feindblöcke Ost-West wird das Unvorstellbare möglich, die deutsche Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990.
Mit den "Grenzen des Wachstums" ist der Übergang von der industriellen zur Dienstleistungsgesellschaft angesprochen. Menschen produzieren kaum noch im herkömmlichen Sinne, sondern erbringen großenteils Dienstleistungen oder "produzieren" Wissen bzw. Informationen. "Kommunikation" wie weiland jene in Grebenstein reduziert sich auf einen bescheidenen Teil im Alltag. Das Leben gestaltet sich zunehmend "virtuell". Nach einem Menschenalter (das heute statistisch zwischen 70 und 80 Jahren liegt) steht der Mensch des frühen 21. Jahrhunderts vor Fragen, die er aufgrund der rapiden Entwicklung seiner Umwelt noch nicht einmal angemessen formulieren kann, geschweige denn Antworten finden. Vorerst behelfen wir uns mit hilflosen Floskeln wie etwa "Globalisierung".
Unsere 15. Generation, das ist der Vater des Verfassers, Reinhard, ohne jeden Beinamen. Er kommt am 20. März 1924 in (Essen-)Kupferdreh zur Welt. Das sind also die berühmten "Zwanziger". Er symbolisiert für uns auch den sanften Übergang zu einer Ära neuer Berufe, außerhalb der Produktion. Vielleicht durch den familiären Hintergrund seiner Mutter wird er in die Ausbildung zum Koch und Kellner geschickt.
Aber ehe er diese Kenntnisse und Fertigkeiten anbringen kann, muß er in den Krieg. Er gibt selbst zu, recht aufmüpfig gewesen zu sein, Soldat sein, das war nichts für ihn. Mit großem Glück kommt er rechtzeitig aus dem Rußlandfeldzug (Stalingrad) zurück, verwundet zwar, aber anders als die unzähligen anderen überlebt er!
Und wie es der Zufall will, trifft er bei Rehabilitation im Lazarett zu Ulm seine spätere Frau Hedwig Baumgärtner (* 11.9.1925). Es funkt schnell, und die beiden heiraten am 6. April 1945 in Ulm-Wiblingen. Während der 2. Weltkrieg - endlich - ein (entsetzliches) Ende findet, organisiert das junge Paar mühsam die Übersiedlung nach Essen (eine schwangere Frau auf einem offenen Kohle-Transporter kann man sich heute in Deutschland nicht mehr vorstellen), wo bald darauf der einzige Sohn Rainer geboren wird.
Nach dem Krieg die große Kunst des Überlebens, manches wird schwieriger als selbst in den letzten Kriegsjahren. Beruflich greift man nach Strohhalmen, privat wird organisiert oder geschmuggelt oder getauscht, Not macht erfinderisch. Vater Reinhard versucht sich eine Zeit lang gemäß seiner Lehre vor dem Krieg in Restaurationsbetrieben unterschiedlicher Art und in unterschiedlicher Tätigkeit, bis er mit dem Wirtschaftswachstum und nach diversen Zwischenstationen den Sprung in die Selbständigkeit schafft: Autohandel und Werkstatt. Den besseren Zeiten entsprechend, wechselt man in eine Neubauwohnung der 60er Jahre und zieht von Kupferdreh nach Essen (Ost). Auch fortan bleibt unsere Familie in Essen. (Hier das Münster zu Essen)
Ausgerechnet in der Rezession ereilt Reinhard ein altes Kriegsleiden, und ohne seinen Betrieb richten zu können, stirbt er am 9. November 1967 im Alter von nur 43 Jahren. Seine Frau arbeitet längst wieder, hält sich mit ihrem Sohn über Wasser und läßt ihn studieren – wirklich eine neue Zeit! – Auch sie stirbt aber viel zu früh am 7. Oktober 1983 mit knapp 58 Jahren.
Die Geschichte unserer 16. Generation sowie der 17. wird man (vielleicht) später schreiben können. Hier schließt der Bericht über unsere Familie Dringenberg von Grebenstein nach Essen mit ein paar kargen Fakten. Die 16. Generation ist der Verfasser selbst, Rainer, geboren am 31. August 1945 in Essen-Kupferdreh. Seine berufliche Vita kann man nachlesen. Auch er ist Dienstleistender - als akademischer Lehrer und "Wissensproduzent".
Im Januar 1970 ereilt ihn sein glückliches Schicksal in Gestalt von Gerlinde G. Gräf, was man am 14. Oktober 1971 durch Eheschließung manifestiert – das war exakt 30 Jahre vor der (ersten) Erstellung dieser Chronik anno 2001. Aus dieser Verbindung stammen die Vertreter unserer bislang letzten, der 17. Generation, Daniela am 15.10.1974 und Raimund am 30.12.1976. Allem Anschein nach bewegen sich beide Kinder ganz im o.g. Sinne auf die späte Dienstleistungsgesellschaft zu - und sind mit den neuen Medien der Zukunft vertraut, wie es ihrer Generation entspricht.